Buchbesprechungen

 

 

Raniero Cantalamessa, Schauen auf den dreifaltigen Gott, Köln 2004

 

Was ist christlich „Spiritualität“? Inhalt und Spannweite des Spiritualitätsbegriffs sind schon länger im Unklaren. „Kein Wort im religiösen Raum hat in den letzten Jahren einen solchen Boom erlebt“, meinte Josef Sudbrack, der gegen die Auflösung christlicher Spiritualität in unverbindliche und ungegenständliche Meditation nach Art des Zen oder eines Pantheismus sein Grundlagenwerk „Gottes Geist ist konkret. Spiritualität im christlichen Kontext“ (Würzburg 1999) verfasste. Der von jedem Fundamentalismusverdacht freie Jesuit setzt sich darin auch mit dem mittlerweile exklaustrierten Benediktiner Willigis Jäger, der bei einem von Bamberger Freimaurern organisierten Vortrag über tausend zahlende Zuhörer hatte (und damit sogar seinen ebenfalls sehr erfolgreichen Münsterschwarzacher Mitbruder Anselm Grün deutlich übertraf) kritisch auseinander. Auf dem Titelblatt des Sudbrack-Buches war ein Wolkenkratzerbild mit einem kleinen weißen Zielpunkt abgebildet – eine nach dem 11. September 2001 erschreckend gewordene „Konkretheit“, die aus manchen träumerischen Harmonisierungen der Hemisphären aufrüttelte und zum „Kampf der Kulturen“ (Samuel Huntington) zu führen schien. Christlich ist aber, unbeschadet der unverzichtbaren Rolle der Metaphysik im Erkenntnisprozess, nun das konkret Geistliche immer der menschgewordene Gott und der jeweilige Mit-Mensch, der nicht durch Theorien, Ausflüge ins Abstrakte oder auch „Spirituelle“ und durch Transzendierungen überspielt, relativiert und schließlich überwunden werden darf. Von jüdischer Seite hat dies Emmanuel Levinas mit seiner Betonung des „Anderen“ und seines „Antlitzes“ intensiv zu bedenken gegeben. Spiritualität von Christen ist gewiss schon im Neuen Testament vielfältig und mehrgestaltig, oft aber vereinseitigt sie sich heute in eine Genitiv-Spiritualität (der verschiedenen Kulturen und Kontinente, der Berufstätigen, der verschiedenen geistlichen Bewegungen, der Befreiung der Armen oder der Frauen), die dann nicht mehr das Ganze des Christlichen einzufalten und darzustellen vermag wie es in den biblischen Schriften, bei den Kirchenvätern (Augustinus!) und den großen Orden noch der Fall war. Wo findet also der Orientierung suchende Leser heute „spirituelle“ Orientierung, ohne sich zu sehr in theologische Fachprobleme und akademische Streitigkeiten zu verlieren? Welchen zeitgenössischen Autor kann man bedenkenlos nach Orientierung suchenden Zeitgenossen zur Lektüre empfehlen, wenn es um eine christliche, kirchliche und katholische Spiritualität gehen soll?

 

Im Zuge der Sehnsucht nach therapeutischem Verstandensein scheint der bereits erwähnte Benediktiner Anselm Grün den Nerv der Zeit zu treffen und sich immer mehr als eine Art „Drewermann light“ anzubieten. Doch hat seine immense Buchproduktion wohl ihren Zenit überschritten und sein Schreibstil bleibt theologisch oft unbefriedigend. So muss sich der Blick auch auf ausländische Autoren richten und da fällt (neben dem eher schwer verständlichen und nicht unumstrittenen katholischen Inder Raimon Panikkar) besonders der päpstliche Hausprediger, Exerzitienmeister und Kapuzinertheologe Raniero Cantalamessa (Jg. 1934) ins Auge. Verkannt und verzeichnet wurde er noch im Jahr 2000 von Paul Konrad Kurz in „Geist und Leben“, der jesuitischen „Zeitschrift für christliche Spiritualität“, als bloßer „Kompilator“, der den „Kontext der Welt heutiger Christen“ nicht in Sicht kommen lasse (GuL 73, 2000, 233f). Die Resonanz bei den Lesern ist die beste Widerlegung dieser Herabsetzung. Der Kölner Adamas Verlag hat sich seit Jahren des Werkes von Cantalamessa angenommen und Titel über Jesus Christus als „Heiligen Gottes“, Maria als „Spiegel für die Kirche“, das Kreuz, das Ostergeheimnis und die Eucharistie veröffentlicht. Keine Nebenthemen also, sondern Kernfragen und Kernwahrheiten, die spirituell vertieft und theologisch verständlich begründet werden, indem der Autor souverän „Altes und Neues“ aus dem spirituellen Schatz der Kirche hervorzieht und zur Betrachtung vorlegt. Zuletzt erschienen die hier vorzustellenden Betrachtungen, die Cantalamessa im Advent des Heiligen Jahres 2000 und in der Fastenzeit 2001 dem päpstlichen Haus vorgetragen hat, unter dem Titel „Schauen auf den dreifaltigen Gott“. Ausgangspunkt war das eben zuende gegangene Heilige Jahr 2000 und das schon fast wieder vergessene apostolische Schreiben Novo millenio ineunte von Papst Johannes Paul II. vom 6. Januar 2001 mit der großen Einladung „Duc in altum! – Fahr hinaus auf den See!“ (Lk 5,4). Cantalamessa möchte die Augen des Lesers zunächst vor allem durch Betrachtung bildlicher Darstellungen, die im Buch farbig wiedergegeben werden, zum „Schauen auf den dreifaltigen Gott“ hinlenken. Dazu dient ihm unter dem Zentralgedanken der Einheit und der Perichorese (wörtlich: wechselseitige Durchdringung) die berühmte Dreifaltigkeitsikone von Rubljow, sodann mit Blick auf das Leid der Welt die Darstellung der Dreifaltigkeit mit dem Gekreuzigten als Zentrum von Masaccio in der Florentiner Kirche Santa Maria Novella, ein später auch von Dürer übernommenes Motiv (heute im Kunstmuseum Wien).

Es geht Cantalamessa dabei nicht um ikonographisches oder kunsthistorisches Spezialwissen, sondern um einen lebendigen Ausgangspunkt für weitergehende Betrachtungen zum größten und tiefsten Geheimnis christlichen Glaubens. Dabei erweist er sich nicht nur als Kenner der Tradition und des kirchlichen Lehramtes in dieser Frage, sondern auch moderner Theologen wie Moltmann oder Balthasar, die zum Thema „Schmerz Gottes“ und zur Gottrede nach Auschwitz Denkanstösse lieferten. Er sieht bei diesen Ansätzen aber auch die Gefahr des Eindringens eines gewissen Tragizismus in das christliche Gottesbild, wenn vom „Leiden Gottes“ und vom „gekreuzigten Gott“ zu sehr unter Ausblendung des in der Auferstehung Christi bereits Wirklichkeit gewordenen Triumphes über Leiden und Tod gesprochen wird: „Schon im seelsorgerischen Bereich genügt der Hinweis auf das Leiden Gottes nicht, um den Menschen eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des menschlichen Leidens zu geben“ (32). In einer äußerst dichten, aber verständlichen und nachvollziehbaren Fülle von Zusammenhangen und Verweisen wird dann die Trinität als „göttliche Einfachheit“ und Überwinderin der Heuchelei (Hypokrasie) der Welt geschildert, ein ganz ungewohnter und originärer Zugang (62-78). Auch dient die Betrachtung der göttlichen Schönheit der Dreifaltigkeit dann dazu, die Faszination einer falschen Schönheit zu unterscheiden und zu durchschauen (79-102). Im dreieinigen Leben „liebt Gott sich selbst ohne die geringste Spur von Egoismus und bewundert sich selbst ohne die geringste Spur von Narzissmus“ (80). Die „Ambiguität des Schönen“ (P. Evdokimov) ist immer mehr ein Kennzeichen der Moderne geworden und bedarf der verstärkten Wachsamkeit. Schon die Bibel spricht vom verführerischen „Engel des Lichtes“. Als ein „spirituelles Problem“ erkennt Cantalamessa die Existenz des Christen in einer von allen Seiten sich aufdrängenden Mediengesellschaft und stellt die Frage: „Wie können wir in einem von Sexualität so stark gesättigten Klima zur Seligkeit (und Gottesschau) derer gelangen, die reinen Herzens sind, einer Seligkeit, die allen Gläubigen verheißen ist?“ (84). Dazu reichten die äußeren Schutzmaßnahmen von früher nicht mehr aus, es bedürfe der Befestigung der inneren Schutzwälle, um für die Wirklichkeit Gottes überhaupt empfänglich zu bleiben (worauf auch Papst Benedikt XVI. in seiner Münchener Predigt vom 10. September 2006 zu sprechen kam). Die Heiligen – Cantalamessa erwähnt besonders Augustinus und seinen Ordensvater Franziskus – vermögen der Erfahrung der geordneten Schönheit der Schöpfung und des in ihr verborgen sich ausdrückenden Schöpfers eine Stütze zu sein (93-99). Hier könnte auch die Wahrnehmungslehre eines Romano Guardini oder Hans Urs von Balthasar weitere Türen öffnen. Im weiteren betont Cantalamessa mit der Kirchenkonstitution Lumen Gentium und mit Papst Johannes Paul II. den gemeinschaftsstiftenden Charakter der Dreifaltigkeit. Koinonía und communio sind Wesen sowohl des Geheimnisses der Kirche wie auch der göttlichen Dreieinigkeit, weshalb Cantalamessa auch – anders als H. Vorgrimler in einer in monotheisierenden Modalismus fallenden Darlegung (GOTT Vater, Sohn und Heiliger Geist, Münster ²2003) – bei aller Durchdringung und Verbundenheit auf das Gegenüber und die Eigenständigkeit der göttlichen Personen Wert legt. Nur so ist auch eine wirkliche „Spiritualität der Gemeinschaft“ (117) im Kleinen oder Großen ohne Vereinnahmung und Absorbierung möglich. Schließlich will die Betrachtung der Dreifaltigkeit auch zum Ewigen streben (121-136), Ursprung und Ziel der Lebensbewegung verbinden, um nach dem letzten Pascha des Pilgerweges „dort anzukommen, von wo wir aufgebrochen sind,/ und diesen Ort zum ersten Mal zu kennen“ (T. S. Eliot, Four Quartets). Nach der Lehre der vier Schriftsinne vollenden sich hier historischer Buchstabe, allegorischer Glaube, praktische Moral und eschatologische Anagogie. Dabei wird jedoch alles so Ersehnte und vielleicht Erfahrene nach einer mittelalterlichen Legende von zwei wetteifernden Mönchen (Rufus und Rufinus) ganz anders, totaliter aliter (127), sein als alle vorherigen Vorstellungen. So ist auch in der Darlegung Cantalamessas die Souveränität des als dreieinig erfahrenen und angebeteten Gottes gegenüber allen Bildern und er-greifenden Verstehensversuchen gewahrt. Dem entspricht das weltliche Dasein des Christen in einer „Fremde“, die im griechischen Urtext das Wort paroikía (Pfarrei) erhält und die im „Brief an Diognet“ nicht nur für die frühen Christen prägnanten Ausdruck fand: „Sie nehmen an allem teil wie Bürger, und sie ertragen alles wie Fremde (pároikoi); für sie ist jede Fremde Heimat und jede Heimat Fremde“ (V,5). Cantalamessa folgert daraus: „Wir alle müssen ‚Pfarrer’ sein und die Kirche eine einzige große ‚Pfarrei’“ (132). Diese Andeutungen aus dem dichten und erbaulichen Text des päpstlichen Hauspredigers (auch unter Benedikt XVI.) lassen vielleicht die Fülle, aus der er zu schöpfen vermag, erahnen. Die „Kontemplation der Trinität“, zu der er einlädt, macht uns unsere wahre Wurzel und Heimat, unsere Her- und Zukunft bis zum „letzten Pascha“ geistlich bewusst. Es ist nicht wahr, dass es für den Weg der Kirche und der Christenheit im 21. Jahrhundert spirituell keine überzeugenden Orientierungen und Leitgestalten gäbe. Vieles wurde ausgesät, dessen Ernte erst jetzt eingebracht und gekostet werden kann, anderes harrt noch der neuen Entdeckung: Duc in altum!

 

 

 

 

 

 

 

Erwin Möde, Christliche Spiritualität und Mystik. Eine systematische Hinführung (Eichstätter Studien, Neue Folge 60), Regensburg (Pustet) 2009, 202 Seiten

 

 

Spiritualität ist in vielfältigen Formen wahrnehmbar als „Megatrend“, hinter dem sich eine „Gottessehnsucht“ (Paul M. Zulehner) verbergen mag. Nicht nur säkulare Schriftsteller wie ein Paulo Coelho oder Richard David Precht verfassen Bestseller mit spirituellem Anspruch, sondern mit gleicher Resonanz auch christliche Autoren wie die bekannten Benediktiner Notker Wolf und Anselm Grün oder der Heiligenkreuzer Zisterzienser Karl Wallner. Neben den klassischen Ordenspiritualitäten, die immer neue Lebenskraft beweisen, oder ausstrahlenden Orten wie Taizé, gibt es die spirituellen Familien der neuen geistlichen Bewegungen, die eine immer wichtigere Rolle spielen und viele suchende jüngere und ältere Menschen ansprechen. 

 

Damit es aber nicht erneut zu der von Hans Urs von Balthasar mehrfach beklagten Diastase von Theologie und Spiritualität (die er unter dem Begriff der „Heiligkeit“ fasste) kommt, ist eine kritische und systematische Reflexion unabdingbar. Nach Herausgabe einer fächerübergreifenden Grundlagenstudie „Theologie der Spiritualität – Spiritualität der Theologie(n)“ (s. u.) hat Erwin Möde, in Eichstätt seit über zehn Jahren Inhaber eines von Bischof Walter Mixa geförderten Lehrstuhls für christliche Spiritualität und Homiletik, nun seine spiritualitätstheologischen Überlegungen zusammengefasst vorgelegt und dabei auch den Begriff der Mystik einbezogen. Möde kommt bei der gegenwartsbezogenen Behandlung der Fragen um christliche Spiritualität seine ausgewiesene Kennerschaft aller mit der so genannten „Postmoderne“ zusammenhängenden Aspekte und seine praktische psychotherapeutische Erfahrung zugute. Eingebracht wird gleich im ersten Kapitel das Gottesproblem Nietzsches, die Gebetssehnsucht Rilkes („Ich bete wieder, du Erlauchter ...“), die Spurensuche Martin Heideggers und das moderne „Zeitalter der Angst“ (W. Auden), das Möde dann vor allem mit Bezug auf Darlegungen Eugen Bisers erörtert. Die nach dem (nicht nur die Kunst betreffenden) „Verlust der Mitte“ (Hans Sedlmayr) unübersehbare „Wiederkehr des Religiösen“ findet der Autor zwischen heilender „Humanressource“, erneuertem Erlösungsglauben und der psychosozial-mystischen Dimension des Betens. Letztere soll eine Trennung von Geist und Psyche verhindern, wozu Möde eine präzise Definition liefert: „Die Integration der unbewusst bis bewussten Bedürfnismotive und psychoaffektiven Regungen in das geistliche Leben, nicht deren Verleugnung und Abspaltung, sind das ‚Nahziel’ zur ‚Reinheit des Herzens’ und somit zum identitätsstarken persönlichem Gebet“ (Seite 60). Damit ist zugleich das berechtigte Anliegen Freuds (und seiner Epigonen bis hin zu Eugen Drewermann) aufgegriffen und einer Lösung zugeführt.

 

In der Grundlegung einer Theologie der Spiritualität wird auf Mircea Eliades Begriff der globalen „Dialektik der Hierophanie“ verwiesen, in der Heiliges und Profanes, Absolutes und Relatives paradox zusammenfallen, zuhöchst als „Präfigurationen des Wunders der Inkarnation“. Den Spiritualitätsbegriff und seine Geschichte deutet Möde dann im Anschluss an maßgebliche Arbeiten Josef Sudbracks. Auftrag und Anspruch von Spiritualitätstheologie ist der Beitrag zur „Unterscheidung der Geister“, wie sie nicht nur die jesuitische, sondern auch die monastische Tradition ausgeprägt hat (dazu die Besprechung der Textsammlung von Marianne Schlosser durch Klaus Berger in „Die Tagespost“ vom 29. November 2008). Möde sieht zwei Hauptquellen konkret gelebter Spiritualität der Glaubensbotschaft: das Evangelium mit den von Christus gewirkten Zeichen des Heils, sowie die Gottespräsenz und das Geisteswirken in Kirche, Geschichte und Einzelsubjekt. Darunter wird eigens der „Nachvollzug des II. Vaticanums“ erwähnt. Mystik sieht Möde mit Bezugnahme auf Wittgenstein „zwischen Tautologie und Transzendenz“ und in der Gefahr einer “Ambitendenz“ zwischen nihilistischer Todesmystik (etwa bei Jorges Luis Borges) und Antizipation des Himmlischen in der Gottesschau einer Mechthild von Magdeburg. Das „Begehren“ der Mystik ist nicht die sexuelle Begierde oder eine Sucht, sondern das „desiderium naturale in visionem Dei“ (Augustinus/Thomas), das „désir“ des Psychoanalytikers Jacques Lacans und schließlich die „dialogische Unsterblichkeit“ der Eschatologie Joseph Ratzingers.

 

Dies wird nun im dritten und vierten Kapitel anhand von spirituellen Primärerfahrungen als „Erwachen zu Gott“ konkretisiert. An erster Stelle erwähnt Möde die präliturgische Erfahrung von Musik und Gesang, von Atem (Odem) und Sprache, die freilich von Schamlosigkeitstendenzen der Gegenwart verunklärt wird. Dann gehört dazu die Erfahrung der Heilkraft des Glaubens, die Möde an mehreren biblischen Heilungsgeschichten erschließt. Ein eigener Abschnitt wird der wichtigen spirituellen Primärerfahrung des Trostes in der Trauer gewidmet und mit praktisch-seelsorgerischen Regeln zur sensiblen und respektvollen Art der Tröstung versehen. Alle relevanten zeitgenössischen Vertreter und Strömungen beachtet Möde in einer Zwischenbilanz zur Annäherung von christlich-kirchlicher Spiritualität und Psychologie, beziehungsweise Psychotherapie. Dabei wird eine „therapeutische Spiritualität“ der Angstüberwindung nahegelegt und auch die therapeutische Wirkkraft von Ritualen psychologisch untersucht. Den zur Totenmagie neigenden „Famlienaufstellungen“ eines Bert Hellinger wird das heilsame Ritual der Taufe gegenübergestellt. Therapeutischen Zuspruch sieht Möde besonders bei Eugen Biser, dem er fast eine Hommage widmet und dadurch sein Werk kritisierbar macht. Jesus Christus ist beim Münchener gelehrten Guardini-Nachfolger der „Helfer“, die „Hilfe“ und der „Freund“, der zu dem sicher nicht falschen Urteil führt: „Die therapeutische Heilkraft des Glaubens kann also dann am ehesten in Theologie und Kirche aufbrechen, wenn in der Lehre statt Beherrschungsdoktrin und Systemdenken wieder die ursprüngliche ‚Zusage’ Jesu an den Menschen wirksam wird“ (Seite 161). Ob die Bisersche „Christologie von innen“ allerdings dem biblischen Kerygma und dem von Erik Peterson unverzichtbar genannten Dogma des Glaubens noch entsprechen kann, ist mehr als fragwürdig. Kirche hat, wie Möde dann im fünften Kapitel bei der kritischen Diskussion „christlicher Werte“ betont, auch pastorale und therapeutische Verantwortung zur Wahrung von Grundwerten in der zu einem „Babylon“ neigenden modernen Gesellschaft, aber sie wird mit Paulus das Ärgernis der Kreuzesbotschaft nicht zugunsten einer therapeutischen wellness-Spiritualität aufgeben dürfen. Der Autor fasst seinen spiritualitätstheologischen Ansatz mit einem „lebensweltlichen Zugang zur Soteriologie in postmoderner Zeit“ treffend unter dem Leitsatz „Jesus Christus: König der Welt – Heil der Menschen“ zusammen (Seite 195-202), hätte ihn aber noch mit Reflexionen zum Thema „Spiritualität und Wahrheit“ oder „Spiritualität und Heiligkeit“ ausweiten können. Leider keine Erwähnung findet das Bemühen der Verfasser des katholischen Weltkatechismus von 1992 (KKK), der doktrinellen und ethisch-moralischen Lehre der Kirche insgesamt eine spirituelle Form und einen eigenen Teil über das christliche Gebet zu geben. Auch vermisst man im grundlegenden Werk des belesenen Autors Literaturverzeichnis und Register, die eine Hilfe gewesen wären. Trotz dieser Einwände bleibt Mödes Buch eine für angehende Seelsorger und spirituelle Orientierung suchende Leser sehr zu empfehlende Studie, die sich aktuellen Herausforderungen stellt und vor allem den oft verdrängten Stellenwert des Psychologischen mutig aufzeigt.

 

(aus: "Die Tagespost", 25. Juli 2009; hier Originalversion)

 

 

Erwin Möde (Hg.), Christliche Spiritualität und Wandel. Beiträge zur aktuellen Forschung (Glaube und Ethos. Theologie im interdisziplinären Dialog Band 8), 148 Seiten, LIT-Verlag, Berlin/Münster 2008, ISBN 3-8258-1904-0, € 19,90

 

Immer deutlicher wird auch innerhalb des Bolognaprozeß von Studienordnungen das eigenständige theologische Fach „Spiritualität“ anerkannt. Dabei geht es mehr als um ein abzuhandelndes „Modul“ um einen wesentlichen Aspekt jeder christlichen und katholischen Theologie. Diese darf spirituell nicht austrocknen, Spiritualität aber darf nicht zur beliebigen Modeerscheinung, zu einem bloßen „Megatrend“ ohne Unterscheidung der Geister und ohne rationale Rechenschaft werden. Der in Deutschland noch immer einzigartige Lehrstuhl der Theologischen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt für Christliche Spiritualität und Homiletik, betreut von Professor DDr. Erwin Möde, ermöglicht seit über 10 Jahren diesen Dienst und bietet in einem kürzlich erschienenem Sammelband einen Einblick in seine vielfältige Forschungswerkstatt. Junge Wissenschaftlerrinnen und Wissenschaftler präsentieren hier nach einer grundlegenden und fachgeschichtlichen Einleitung des Lehrstuhlinhabers ihre Arbeiten unter dem Stichwort „Wandel“.

 

Ganz konkret auf die eucharistische Wandlung und ihre Implikationen geht der Luxemburger Gelehrte Jean Ehret ein. Dogmatische Sicherheit verbindet sich bei ihm mit sprachlicher Sensibilität und intellektueller Durchdringung. Marion Bayerl beobachtet die weihnachtliche „Sehnsucht nach dem menschlichen Gott“. Empirisch befaßt sich mit dem Phänomen „Leistungsmotivation“ und seiner innovativen Diagnostik die Psychologin und Sozialpädagogin Christine Zimmermann. Die spirituellen Herausforderungen im Umgang mit Kranken reflektiert, auch im Blick auf das Sakrament der Krankensalbung, der aus Polen stammende Eichstätter Priester Artur Zuk. Der Promovend (und Sekretär des Augsburger Bischofs) Martin Straub thematisiert den spirituell gebotenen Umgang mit lebensgeschichtlichen Verletzungen und geht in therapeutischer Absicht der Frage nach, ob „Zeit alle Wunden heilt“. Martina Mayer lenkt ihren Blick auf Maria als exemplarischer „Virgo Virginum“ für ein gottgeweihtes Leben nicht nur in den evangelischen Räten, sondern in der christlichen Nachfolgeexistenz überhaupt. Grundsätzlich reflektiert schließlich Andreas Fuchs den Mystik-Begriff als „performatio“ spiritueller Theologie und geht seiner Ausdeutung bei einigen jesuitischen Autoren nach. Ziel ist dabei die Wandlung im Horizont des Christusmysteriums, wobei nach Karl Rahner jeder Christ der Zukunft ein Mystiker seines Alltags werden müsse.

 

Der anregende Sammelband lohnt die Lektüre mit vielen pastoral und therapeutisch wertvollen Einsichten. Die veröffentlichten Arbeiten wollen meist nur in die intensiver laufende aktuelle Forschung einführen und dafür Interesse wecken. Es ist ein Glücksfall, dass am Lehrstuhl Erwin Mödes, dessen Bestehen sich einer Initiative Bischof Walter Mixas verdankt, auch immer das heilsame Miteinander von Theologie und Psychologie zur Glaubwürdigkeit christlicher Spiritualität beiträgt. So wird auch „Wandel“ ermöglicht. 

 

(aus: "Klerusblatt", 3/2009)  

 

 

  

Erwin Möde (Hg.), Theologie der Spiritualität – Spiritualität der Theologie(n). Eine fächerübergreifende Grundlagenstudie (Eichstätter Studien Neue Folge 57), Regensburg 2007, 288 Seiten

 

Auch wenn „Spiritualität“ fast zu einem Mode- und damit Leerbegriff geworden ist, kann seine Faszination und Faktizität auch von der fachorientierten wissenschaftlichen Theologie in all ihren Disziplinen nicht mehr übergangen werden. Die Verkaufszahlen „spiritueller“ Bücher des Dalai Lama, des Münsterschwarzacher Benediktiners Anselm Grün oder auch des Fernsehmannes Hape Kerkeling beweisen ein breit vorhandenes Grundbedürfnis, das als religiöses Phänomen tieferer Reflexion und geistlicher Unterscheidung bedarf. So erst kann es auch für die Verkündigung des Glaubens und seiner kirchlichen Vermittlung fruchtbar werden. Spiritualität als die „subjektive Seite der Dogmatik“ (Hans Urs von Balthasar) steht dem objektiv-lehrhaften der akademischen Theologie nicht entgegen, sondern ermöglicht deren Vertiefung und Fundierung.

 

Unter der Herausgeberschaft von Erwin Möde, Inhaber des Lehrstuhls für Christliche Spiritualität und Homiletik an der Theologischen Fakultät der Katholischen Universität Eichstätt, zugleich auch habilitierter Fundamentaltheologe und praktisch ausgebildeter Diplompsychologe, erschien im Anschluss an einen deutsch-polnischen Kongress zur „Theologie der Spiritualität“, der November 2006 in Eichstätt stattgefunden hat, nun ein unter gegenwärtigen theologischen Veröffentlichungen herausragender Sammelband.

 

Fächerübergreifend und in Kooperation mit Gelehrten des  Pädagogischen Instituts der Kardinal Stefan Wyszynski Universität (Warschau) werden Dimensionen und Perspektiven eines theologisch reflektierten Spiritualitätsbegriffs ausgelotet. Der Band teilt die diversen Aufsätze und wiedergegebenen Vorträge des Kongresses in theologische Fächerperspektiven und pastoral-pädagogische Konkretionen auf. Vorangestellt ist ein Beitrag zur Grundlagenforschung einer „frag-würdigen Disziplin“ aus der Feder des Herausgebers mit dem Titel „Theologie der Spiritualität – Was ist das?“ (Seite 11 bis 22). Erwin Möde geht darin das Thema tiefschürfend, unkonventionell und ohne ängstliche Einschränkungen oder Anpassungen an. Herausforderungen der Moderne und Postmoderne sind ihm der selbstverständliche Horizont, in dem eine Reflexion des theologischen Spiritualitätsbegriffs zu stehen hat. Orientierung bieten dabei Beobachtungen des Religionswissenschaftlers Mircea Eliade, für den die „Dialektik der Hierophanie“ im Geschehen der Inkarnation zur Aufhebung der für herkömmliche Religion konstitutiven Grenze zwischen Heiligem und Profanem führt. Das ist kein lokales Ereignis, sondern hat globalisierende Konsequenzen, die nun eine neue Sensibilität für die sprachlich Ausgestaltung einer auf offenbarungstheologischem Hintergrund sich artikulierenden Spiritualität erfordern. Andernfalls drohe statt Universalisierung eine Selbstauflösung von Religion. Deshalb verweist Möde mit Josef Sudbrack auf die Geschichte des Spiritualitätsbegriffs und seine Herkunft aus dem romanischen Sprachraum. Dabei geht es wesentlich um christliche Existenz und Erfahrung in Erneuerung der Offenbarungstheologie. Während in der Zeit der Kirchenväter zwischen theologischer und spiritueller Sprache kaum unterschieden wurde, kam es im Zuge der Scholastik (und noch mehr der Neoscholastik des 19. Jahrhunderts) zu einer Trennung der beiden Bereiche, die schon Hans Urs von Balthasar in seinem Aufsatz „Theologie und Heiligkeit“ aus dem Jahr 1948 beklagt hat. Allerdings entwickelte sich auch ein eigenes Fach „theologia spiritualis“, dessen erster Lehrstuhl unter Papst Benedikt XV. am Angelicum für den Dominikaner Garrigou-Lagrange eingerichtet wurde. Im Zuge des anthropologisch ausgerichteten II. Vaticanum kamen in der Theologie der Spiritualität humanwissenschaftliche (pädagogische, psychologische und soziologische) Fragestellungen hinzu, die von Möde zu folgenden fünf Hauptsträngen der Spiritualitätsforschung gebündelt werden: „Spiritualitätsgeschichte, systematische Theologie der Spiritualität, Anthropologie der Spiritualität, angewandte Spiritualitätsforschung, sowie komparative und transreligiöse Studien der Spiritualität“ (Seite 17).  Dabei ist Spiritualitätstheologie nicht „frei“ im Sinne eines beliebigen Pluralismus oder gar eines methodischen Atheismus, sondern empfängt ihren Auftrag und ihren Verbindlichkeitsanspruch von der Kirche als Sachwalterin der geschichtlich ergangenen Offenbarung. Nur so kann die Beliebigkeit des Relativismus und ein „Verlust der Mitte“ (H. Sedlmayr) aufgehalten werden. Mit dem Moraltheologen Bernhard Fraling definiert Möde Spiritualität pneumatologisch, verweist aber auch mit Hans Urs von Balthasar auf das historisch-konkrete Evangelium als „Norm und Kritik aller Spiritualität in der Kirche“ (Seite 20). So ist dann „Theologie der Spiritualität“ offenbarungsbewusst, kirchenverbunden und der personalen Aneignung des Glaubens dienlich. Mit diesen Wegmarken versehen kann sich im Nachvollzug des II. Vaticanums Spiritualitätsforschung hinauswagen in interdisziplinäre Felder der Anthropologie und vergleichenden „Spiritualität der Weltkulturen“. Dabei gilt es stets, das christliche Charisma der geistgewirkten Selbsttranszendenz zu wahren und geistliche Differenzen zu anderen religiösen Konzepten nicht vorschnell zu überspielen. So bleibt eine Mystagogie hin zu Jesus Christus als dem „mysterium salutis“ für eine Theologie der Spiritualität, die eine eigenständische Disziplin im theologischen Fächerkanon darstellt (wie Möde mit dem Franzosen Ch. A. Bernard festhält), gleichsam die „zentrierende Mitte“.

 

Um diese Mitte von Mödes Grundlegung werden nun weitere spezielle Themen aus der jeweiligen theologischen Fachperspektive geboten. Besonders hervorzuheben sind hier die formulierten Thesen des Eichstätter Dogmatikers und Dogmengeschichtlers Manfred Gerwing (Seite 77-94). Er kann auf seine eigenen geschichtlichen Studien zur spirituell folgenreichen „Devotia moderna“ des Kreises um Gert Groote verweisen und konzentriert sich auf ihre geistlichen Anregungen und praktischen Impulse. Nachfolge Christi, evangelische Räte, die immer neue Hingabe an den Gott Jesu Christi im rhythmischen Wechsel von Aktion und Kontemplation, schließlich die permanente Bereitschaft zur Umkehr, sichern im Sinne der „Devotia moderna“ auch für die Gegenwart die bleibende Prozessualität und Unabgeschlossenheit christlicher Spiritualität. Letztlich gilt alle „devotio“ der wirklichen Wirklichkeit Jesu als der „wirklichen Selbstmitteilung Gottes“ (Karl Rahner). So könne bei Festhalten an theologischer Wissenschaftlichkeit der Widerspruch zwischen einer sitzenden und einer knienden Theologie überwunden werden in einer Anbetung des in seiner heilsgeschichtlichen Offenbarung immer noch unbegreiflichen Geheimnisses göttlicher Dreieinigkeit. In Ergänzung des katholischen Dogmatikers referiert der evangelische Diakon und Publizist Gerhard Wehr über Luther, Müntzer und Böhme als „protestantische Mystiker“ (Seite 143-152).

 

Die Eichstätter Bibelwissenschaftler Burkard M. Zapf und Lothar Wehr bieten Beiträge zur geistlichen Bibelexegese und zur „Verwandlung des Menschen als zentralem Merkmal neutestamentlicher Spiritualität“ (Seite 25-56). Nikolaus Lobkowicz, der ehemalige Präsident der Katholischen Universität Eichstätt, interessiert sich als Philosoph für Theologie und deren Spiritualität (Seite 57-76). Dabei erstaunt seine profunde Kenntnis nicht nur großer Philosophen, sondern auch moderner Theologen. Ein konkreter Ort der Begegnung von Theologie, Philosophie und (zumal pastoral und kerygmatisch bewusster) Spiritualität ist für Lobkowicz das Verständnis der „Seele“, das er im Eschatologie-Band der Katholischen Dogmatik von Anton Ziegenaus gut wiedergegeben sieht. Theologie und Philosophie können durchaus einander „Magd“ sein, um das je eigene Anliegen zu profilieren und einem umfassenderen Verständnis zuzuleiten.

 

André Habisch (Christliche Sozialethik), Konstantin Maier (Kirchengeschichte), Jürgen Bärsch (Liturgiewissenschaft) und Alois Schifferle (Pastoraltheologie) ergänzen die theologischen Perspektiven der Spiritualitätsforschung aus ihren jeweiligen Fachbereichen(Seite 95-166). Unter den „pädagogischen Konkretionen“ findet sich von Lorenz Gadient, dem Eichstätter Seminar-Spiritual, ein Beitrag zur Spiritualität der Priesterausbildung, die er von der Realisierung der Glaubensrealität, der Welt- und Selbstwahrnehmung im Licht des Glaubens und der gläubigen Lebenspraxis bestimmt sieht. Der Philosoph Ferdinand Rohrhirsch macht sich anhand des Heidegger-Satzes „Verstehen ist immer gestimmtes“ Gedanken zur Spiritualität von Lehrenden und Lernenden im katholischen Umfeld (Seite 169-183). Von den mehreren polnischen Referenten wird unter anderem die Bedeutung der Kunst für eine christliche Spiritualität behandelt, außerdem die spirituelle Entwicklung der agnostischen Nobelpreisträgerin Marie Curie (Seite 249-263). Im deutschen Sprachraum kaum bekannt und nun zugänglich geworden ist das von Jadwiga Kuczynska-Kwapisz vorgestellte Zeugnis der Spiritualität von Mutter Elisabeth Róza Czacka (1876-1961) und ihres Werkes für Blinde in Warschau-Laski (Seite 265-272). Dabei stand dieser großen Pädagogin, deren Seligsprechungsprozess eingeleitet ist, in einer Spiritualität des (Mit-)Leidens auch das seelische Erblinden immer vor Augen.

 

Der ergiebige, in den „Eichstätter Studien“ erschienene  Sammelband kann hier nur ansatzweise besprochen werden, um zu seiner Lektüre hinzuführen. Er beweist das hohe Reflexionsniveau und die internationale Vernetzung der Gelehrten der Theologischen Fakultät Eichstätt, die im Zuge nun bald vergangener Turbulenzen oft zu Unrecht in negatives Gerede gekommen ist. So stellt er einen vielfältigen Kommentar zu einem berühmten Satz von Karl Rahner dar: „Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein – oder er wird nicht mehr sein“.

 

(aus: "Die Tagespost"  vom 2. Dezember 2008)