Karl Rahner – Mann der Kirche und des Konzils
Zu seinem 25. Todestag

Er war der Konzilsbegleiter Kardinal Franz Königs und einer der letzten „universalen“ Theologen der katholischen Kirche: der Jesuit Karl Rahner (1904-1984), der ein immenses schriftliches Werk hinterlassen hat, das seit 1995 in einer Gesamtausgabe des Freiburger Herder-Verlages kritisch ediert wird. Polemiken von neothomistischer Seite (wie die des Kölner Publizisten David Berger) können seiner Glaubwürdigkeit als Mann der Kirche und des Konzils genausowenig anhaben wie die unfairen Angriffe Hans Küngs (im 2. Band seiner Memoiren) auf seinen privaten und seelsorgerlichen Kontakt zur Schriftstellerin Luise Rinser. Zwar wurde Rahner nicht wie manche Weggefährten der Konzilszeit (Charles Journet, Jean Daniélou, Hermann Volk, Henri de Lubac, Hans Urs von Balthasar, Alois Grillmeier, Yves Congar, Avery Dulles, Leo Scheffczyk) mit der Kardinalswürde geehrt, aber nicht zuletzt der gegenwärtige Papst hat ihm als Kardinalspräfekt in einem Wiener Interview noch 2004, als wieder bestimmte Kreise ihn zum Häretiker abstempeln wollten, seine unbeirrbar-loyale Kirchlichkeit bestätigt.

 

Was zeichnet das theologische Werk Rahners aus? Es besteht nicht, wie etwa das seines ehemaligen Mitjesuiten Balthasar, aus einem zusammenhängenden „Hauptwerk“, sondern aus unzähligen Gelegenheitsschriften und Einzelaufsätzen, die der theologischen Durchdringung und der ignatianischen „Unterscheidung der Geister“ dienen wollen. Ausgebildet in den verschiedenen Ordenshochschulen war es sein Anliegen, die damals festgefahrene neuthomistische Schultheologie, der er durchaus hilfreiche Aspekte abringen konnte, mit dem Denkbewusstsein der Neuzeit zu konfrontieren, somit von innen her aufzusprengen, und in einer „anthropologischen Wende“ zu einem neuen transzendentaltheologischen Ansatz zu kommen. In Freiburg besuchte Rahner zusammen mit Max Müller das Oberseminar Martin Heideggers, den er später in einer Würdigung „obwohl Theologe, als seinen Meister verehrt“. Während des Krieges war er bei Karl Rudolf am Wiener Seelsorge-Amt und verfasste ein pastoralgeschichtlich bedeutsames „Wiener Memorandum“ gegen ängstliche „Beunruhigungen“ des Freiburger Erzbischofs Conrad Gröber.

 

Vor allem in frühen Werken wie „Geist in Welt“ (1939) und „Hörer des Wortes“ (1941) wurde (in Anknüpfung an Joseph Maréchal SJ) die Grundlage zu einer Begegnung des herkömmlichen Thomismus mit der Philosophie des deutschen Idealismus und der existentialistischen Phänomenologie Heideggers gelegt. Die erstarrte aristotelisch geprägte Metaphysik, in der Gott als der Unveränderliche und Unbewegte galt, wurde – mit Thomas! - einem dynamischeren Verständnis geöffnet. Das führte dann zu den für Rahner charakteristischen Aussagen, dass alle Theologie Anthropologie zu sein habe und umgekehrt. Von Gott zu reden, heißt fortan vom Menschen zu reden. Die Frage nach Gott ist also eine Frage nach dem Menschen, was nicht nur auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil, sondern auch durch Papst Johannes Paul II. in seiner Antrittsenzyklika „Redemptor hominis“ (1979) enormen lehramtlichen Widerhall fand. Der Blick Rahners fällt auf das „Gottgeheimnis Mensch“, das nicht analytisch zerlegt, sondern letztlich erst im Gottmenschen Jesus Christus „kategorial“ anschaulich wird. Im Spätwerk „Grundkurs des Glaubens“ (1976) wurde der anthropologische Ansatz so gesteigert, dass das Buch praktisch ganz ohne Bibelzitate auskommt. Wichtiger aber als breite Ausführungen waren ihm „Kurzformeln des Glaubens“ – ein wortreicher Weltkatechismus (ohne theologisches Problembewusstsein) wäre ihm gegen den Strich gewesen, mit dem knappen "Kompendium" desselben (2005) hätte er sich wohl eher anfreunden können. Im Religionsdialog lag ihm an der „inklusivistischen“ Sichtweise und dem oft (wie N. Schwerdtfeger nachwies) missverstandenen Konzept des „anonymen Christen“.

 

Karl Rahner ist schließlich nicht zu verstehen ohne die geistlich-mystische Theologie seines Ordensvaters Ignatius von Loyola. Mit ihm, und nicht mit modernen Philosophen, will er im Letzten auf das unaussprechbare Geheimnis Gottes verweisen, will die „ewige Bedeutung der Menschheit Jesu für unser Gottesverhältnis“ (so der Titel eines zentralen Aufsatzes) erklären und sich gegen alle dogmatischen Verkürzungen dieser Menschheit wehren. So konnte er das berühmte Wort prägen: „Der Christ der Zukunft wird entweder Mystiker sein – oder er wird gar nicht mehr sein“. Dabei ging es ihm vor allem auch um „Alltägliche Dinge“, wie eine seiner am meisten verbreiteten Kleinschriften überschrieben war.

 

In kirchenpolitischen Fragen hat Rahner bei aller Loyalität zum Lehramt der Kirche immer eine instinktive Abwehr gegen jeden Klerikalismus oder Integralismus gehabt. Das Gelingen der Würzburger Synode (1971-1974) ist ihm (und seinem bekanntesten "Schüler": Karl Kardinal Lehmann) mit zu verdanken. In moraltheologischen Fragen hat er realistisch die Komplexität der Lebenssituation des modernen Menschen gesehen, auch etwa die Problematik der ungläubigen Verwandten eines Christen. Er trat dafür ein, in der Kirche die verständliche Sehnsucht nach Sicherheit ("Tutiorismus") mit dem Mut zum Wagnis zu verbinden. Orientierung an Karl Rahner ist auch aktuell ein möglicher Ansatz zur innerkirchlichen Befriedung im Blick auf das Bleibende in Theologie, Kirche und Glaubensverständnis. 

 

 

(veröffentlicht in "Nürnberger Zeitung" vom 13. Februar 2009, sodann "Klerusblatt" 3/2009)

 

Vgl. online www.karl-rahner-archiv.de

  

 

Buchbesprechung (aus: "Klerusblatt" 6/2006):

 

Krystian Kaluza, „Der absolute Heilbringer“. Karl Rahners fundamentaltheologische Christologie (Bamberger Theologische Studien Bd. 29), Frankfurt a. M. 2006, ISBN 3-631-54297-6, € 56,40

 

Die Bamberger Dissertation des aus der Diözese Gleiwitz stammenden polnischen Theologen (Jg. 1973) hat durch ihre sprachliche und gedankliche Kompetenz bereits Aufsehen erregt. Es schien, als sei über Karl Rahner (1904-1984) schon alles gesagt und geschrieben. Aber wirklich große Theologen lohnen immer eine neue wissenschaftliche Auseinandersetzung und gerade das weite Feld der modernen Fundamentaltheologie bietet dafür Ansatzpunkte. Oft wurde Rahner als Dogmatiker gelobt und auch kritisiert (bis hin zum Häresievorwurf), auch sein religionsphilosophisches Erbe aufgegriffen (vor allem von P. Eicher, J. Splett und K. P. Fischer). Krystian Kaluza dagegen konzentriert sich auf Rahners fundamentaltheologische Christologie der Aufweisung eines „absoluten Heilbringers“ vor der Selbsterfahrung des Menschen. Dazu wird in souveräner Kenntnis der Primär- und Sekundärliteratur die anthropologisch-hermeneutische Dimension der transzendentalen Christologie Rahners und dabei die zentrale Rolle der „transzendentalen Erfahrung“ dargestellt. Der Mensch ist derjenige, der in seiner Verfasstheit die „Idee Christi“ (X. Tilliette) trägt und sich ihrem Anruf als „Hörer des Wortes“ öffnet. In einem eigenen Kapitel behandelt Kaluza den „absoluten Heilbringer“ und die Erfahrung der Geschichte: das Wissen um den vorösterlichen Jesus, das Selbstverständnis Jesu und seine „Legitimation“ in Wundern und Auferstehung. Besondere Aufmerksamkeit findet Rahners bedeutender Aufsatz „Dogmatische Erwägungen über das Wissen und Selbstbewusstsein Christi“ (1961) und dessen Diskussion bei H. Riedlinger und Ch. Schönborn. Damit ist nur angedeutet, welche Fundgrube fundamentaltheologisch-dogmatischer Übersicht und Einsicht die Untersuchung Kaluzas enthält. Auch wenn eine gewisse Ferne der Theologie Rahners zum „richtenden“ Wort Gottes in der Hl. Schrift als möglicher Kritikpunkt genannt wird, so leuchtet doch die Chance seines Ansatzes einer „suchenden Christologie“ gerade gegenüber der aufgeklärt-säkularisierten und oft in einem verwirrenden Religionsdialog festgefahrenen Gegenwart auf. Das Buch kann zu einer vorurteilslosen und lehrreichen neuen Wahrnehmung des großen und nicht unumstrittenen Theologen anregen. Theologiestudenten und Interessierten bietet es sich als eine anspruchsvolle Einführung in Rahners christologisches Denken überhaupt an.