Siegfried Wiedenhofer, Die Theologie Joseph Ratzingers / Benedikts XVI. Ein Blick auf das Ganze (Ratzinger-Studien Bd. X), Regensburg (Pustet Verlag) 2016, 861 Seiten, ISBN 978-3-7917-2839-1, € 49,95
Das durch die Herausgeber der „Ratzinger-Studien“ am Regensburger „Institut Papst Benedikt XVI.“, zu dessen wissenschaftlichem Kuratorium der Verfasser gehörte, posthum vorgelegte Werk des ehemaligen Frankfurter Systematikers Siegfried Wiedenhofer (1941-2015) will einen Blick auf das Ganze der Theologie Joseph Ratzingers / Benedikts XVI. werfen und diese in ihrer vermittelnden Funktion zwischen Tradition und Moderne darzustellen versuchen. Wiedenhofer war Student Ratzingers in Bonn und bis zu seiner Ernennung zum Erzbischof von München-Freising zehn Jahre (1967-1977) in Tübingen und Regensburg sein wissenschaftlicher Assistent. Die fast bis zum Abschluss geratene kritisch-analytische Darstellung wurde von den Herausgebern ohne inhaltliche Hinzufügungen formal etwas überarbeitet. In einer Einleitung (16-22) erklärt sich Wiedenhofer selbst zu Absichten und Grenzen seiner Untersuchung. Die Arbeit ist die „stückweise Abtragung einer langjährigen Dankesschuld“ und will „das, was in meiner Sicht die exzeptionelle theologie- und kirchengeschichtliche Größe und Bedeutung dieses Werkes ausmacht, nämlich in einer der größten Umbruchszeiten der Kirchengeschichte Kontinuität und Erneuerung, Einheit und Vielfalt, Innerlichkeit und Äußerlichkeit des Glaubens und der Kirche so zu verbinden, dass nicht zuletzt durch diesen Beitrag wenigstens bis zur Gegenwart ein völliges Auseinanderbrechen der Kirche verhindert wurde. […] Die Bewahrung der Identität und Kontinuität des Glaubens ist bis zum Schluss sein zentrales Anliegen. [..] Das Riesenwerk ist nicht nur ein theologischer Streit um die Wahrheit des Glaubens. Es ist auch spirituelle Hinführung zum Glauben, eine Art moderner Mystagogie“ (16f). Die Verbindung von historischer und systematischer Theologie, die Wiedenhofer bei Ratzinger gelernt hat, prägt seine in manchem auch „fundamentaltheologische“ Untersuchung, die sich auch alternativen Stimmen öffnet. Sie steht, wie er selbst einräumt, durch ihren analytisch-objektivierenden Zugang mit eher formalen Kriterien in Gefahr, die ganzheitliche und integrative Theologie Ratzingers „zutiefst zu konterkarieren, ja vielleicht zu zerstören“ (19). Gerade so aber gelingt es, den diachronischen Charakter der Theologie Ratzingers als katholischer Universitätstheologe, Bischof, Präfekt der Glaubenskongregation und Papst darzulegen, und „das verbreitete, oberflächliche und auch sehr deutlich (kirchen-)politisch motivierte Einteilungsschema, das von einer frühen Reformtheologie und einem nachkonziliaren neokonservativen Rückfall spricht“ (21), zu vermeiden. Strukturiert ist die theologisch-analytische Darstellung in einer auf den Semiotiker Charles Morris zurückgehenden Formulierung in einem dreifach sich wechselseitig bestimmenden Zugriff: als Pragmatik den Gegenstand im kommunikativen Handlungskontext betrachtend, als Grammatik (Logik) als strukturierte Form und als Semantik (Hermeneutik) als Sinnsystem betrachtend. Dies ist ein zugegeben zunächst ungewohnter und „sekundärer“ (G. Steiner) Zugang, der aber von Wiedenhofer genutzt wird, um die Theologie Ratzingers methodisch objektiver erfassen zu können.
Im ersten Kapitel der „Pragmatik“ (23-105) wird Ratzingers aktive Wirkung vor während und nach dem Konzil geschildert als doppelter Kampf gegen die neuscholastische und liberale Theologie, die beide die katholische Tradition verengen – wobei letztere sich zunehmend mit dem Namen des ehemaligen Kollegen Hans Küng verbindet. Das zweite Kapitel der „Grammatik“ (106-454) befasst sich mit Grundbegriffen, Methode und Form der Theologie Ratzingers. Fundamentaltheologische Themen wie „Glaube und Offenbarung“ (107-147), „Glaube und Religion“ (147-186), wozu auch das breit erörterte Thema Absolutheitsanspruch des Christlichen angesichts möglicher Religionsdialoge gehört, und „Glaube und Kirche“ (186-242) werden von Wiedenhofer intensiv in Kenntnis aller Texte und auch Kontroversen behandelt. Besonderen Raum findet der ökumenische Dialog (219-42), auch Ratzingers Sicht auf Martin Luther. Dem schließt sich eine ausführliche Darstellung der „Theologie als vernünftiges und wissenschaftliches Unternehmen“ (242-454) an. Hier geht es um Unterscheidung und Einheit von Glaube und Vernunft, eines der Zentralthemen Ratzingers, aber auch um Wissenschaftscharakter (309), Methodenstruktur (342) und Kirchlichkeit (412) von Theologie. Theologische Pluralität, Ökumene, Integration und Polarisierung werden an Originaltexten untersucht. Das dritte Kapitel zu „Semantik und Hermeneutik“ (455-757) behandelt das Verständnis von Inhalt und Praxis des christlichen Glaubens nach Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. Die „Mitte des christlichen Glaubens“ (455) ist das biblisch fundierte trinitarische Gottesbekenntnis. Nicht fertig ausführen konnte Wiedenhofer den Abschnitt über die Schöpfungslehre. Die Darstellung der Christologie und Erlösungslehre konzentriert sich auf die „Einführung in das Christentum“ (1968) und die päpstlichen Jesus-Bücher (2007; 2011; 2012). Es folgt das Thema „Glaube an den Heiligen Geist“ (522-529), das durch Ratzingers Christozentrik etwas verdrängt erscheint, und das breit in seinen Facetten ausgeführte katholische Kirchenverständnis (529-617) mit der Behandlung der neuen Konzilsentwicklungen bis zur darin integrierten Mariologie (618-646), bei der besonders das Thema Jungfrauengeburt exakt erörtert wird [vgl. dazu nun Bd. IX der „Ratzinger-Studien“: Rainer Hangler, Juble, Tochter Zion. Zur Mariologie von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI., Regensburg 2016].
Nach der allgemeinen Kirchenlehre folgen knapper die Behandlung der Sakramente, besonders der Taufe und Eucharistie (646-655). Es fehlt leider weitgehend das für Ratzinger so zentrale Thema der Liturgietheologie, auch wenn es in Anmerkungen gelegentlich erwähnt wird. Ausführlicher wird wieder die „christliche Vollendungshoffnung“ (655-732) zur Sprache gebracht. Dabei geht es neben Ratzingers bekanntem Lehrbuch zur Eschatologie (1977), das eine „dialogische Unsterblichkeit“ konzipiert, und den Diskussionen mit G. Greshake um die „Auferstehung im Tod“ auch um eher säkulare Vollendungshoffnungen wie sie seit den frühen 1970er Jahren eine politische Theologie (etwa von Ratzingers Münsteraner Kollegen J. B. Metz) und die südamerikanische Befreiungstheologie, mit deren Einseitigkeiten sich Ratzinger als Glaubenspräfekt intensiv befasst, vorbringen. Die päpstliche Enzyklika „Spe salvi“ (2007) erhält abschließend ihre Würdigung. Zu den eschatologischen Fragen sieht Wiedenhofer allerdings trotz klarer Kontinuitäten noch weiteren Diskussionsbedarf (726-732). Der letzte Abschnitt zur christlichen Glaubenspraxis (733-757) widmet sich recht kurz gefasst den Themen Verkündigung, Katechese, Neuevangelisierung, Gottesdienst und Gebet (wo auch die Liturgietheologie erwähnt wird), Ethik, Caritas, Europa, sowie Kirche und Staat. Es fehlt dabei eine Analyse der Freiburger „Entweltlichungs-Rede“ vom September 2011.
Zum Schluss seines leider unvollendet gebliebenen Buches würdigt Wiedenhofer „die Bedeutung des Wirkens Joseph Ratzingers / Benedikts XVI. für Theologie und Kirche“ (758-766). Dazu sei es generell noch zu früh, aber die Besonderheit der Integration von Spiritualität, Kirchlichkeit und Vernünftigkeit des Glaubens dürften sein Markenzeichen bleiben. Ratzingers Theologie hat in allen Kontroversen, denen sie sich stellt, einen „pazifizierenden Charakter“ und schöpft als „Ressourcement-Theologie“ (760) aus den geistlichen Quellen der Überlieferung. Wiedenhofers umfangreiches Werk ist das Vermächtnis eines aufmerksam-kritischen Schülers, der besonders mit dem 2.Kapitel „Logik oder Grammatik der Theologie“ einen bleibenden Beitrag zur Rezeption des Denkens und Wirkens von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. geleistet hat. Eine von sekundären Kategorien freiere, biblische und liturgische Bezüge stärker einbindende Gesamtdarstellung der Lehre des großen „Theologenpapstes“ bleibt jedoch weiter aufgegeben.
Maximilian Heinrich Heim, Joseph Ratzinger – Kirchliche Existenz und existentielle Theologie. Ekklesiologische Grundlinien unter dem Anspruch von Lumen gentium. Mit einem Geleitwort von Joseph Kardinal Ratzinger. 2. korrigierte und ergänzte Auflage, Frankfurt am Main u.a. (Peter Lang) 2005, 521 Seiten (Bamberger theologische Studien Bd. 22), € 38.00 (3.Auflage 2014)
Es ist immer ein Risiko, über zeitgeschichtliche Personen ein akademisch ausgewogenes Urteil zu finden. Das gilt natürlich auch für Entwicklungen der Kirche und ihrer Lehre. Mitten in einem Wirkungs- und Rezeptionsprozess, ist es nicht unproblematisch, bereits zu wertenden historischen Einordnungen zu kommen. So stellt sich auch die Frage, ob die vom bekannten italienischen Kirchenhistoriker Giuseppe Alberigo geleitete Historikerkommission mit ihrer mehrbändigen (und bereits weitgehend übersetzten) Veröffentlichung Storia del Concilio Vaticano II nicht unter mangelnder Distanz zum von ihr untersuchten Gegenstand zu leiden hat Daher ist es auch ein Wagnis, über einen am Konzilsgeschehen aktiv beteiligten und nicht nur noch lebenden, sondern theologisch und kirchenamtlich (Präfekt der Glaubenskongregation; Dekan des Kardinalskollegiums, seit dem 19. April 2005 nun als Papst Benedikt XVI.) damals (2004 war die erste Auflage der Arbeit) noch wirkenden Mann der Kirche wie Joseph Ratzinger eine ekklesiologische Arbeit zu verfassen. Dem aus dem oberfränkischen Kronach gebürtigen jetzigen Abt des Zisterzienserstiftes Heiligenkreuz im Wienerwald, P. Maximilian Heinrich Heim, ist dieser Versuch gelungen, wie eine Durchsicht der aus drei Teilen bestehenden Grazer Dissertation (unter der Betreuung von Prof. Dr. Bernhard Körner) bestätigen kann. Sie liegt seit 2014 nun in erweiterter 3. Auflage vor.
Grzegorz Jankowiak, Volk Gottes vom Leibe Christi her. Das eucharistische Kirchenbild von Joseph Ratzinger in der Perspektive der Ekklesiologie des 20. Jahrhunderts (Bamberger Theologische Studien Bd. 28), Frankfurt am Main 2005, 259 Seiten (ISBN 3-631-53430-2).
Die Bamberger Dissertation des Stettiner Priesters Grzegorz Jankowiak (Jg. 1973) über das eucharistische Kirchenbild Joseph Ratzingers wurde noch vor dessen Wahl ins Petrusamt abgeschlossen. Sie möchte die eucharistische Ekklesiologie des Konzils, die Eucharistieenzyklika Johannes Pauls II. und das an Augustinus anknüpfende Kirchenverständnis Ratzingers miteinander verknüpfen. Kirche als „mystischer Leib Christi“ (Enzyklika Pius’ XII. „Mystici Corporis“) und als „Volk Gottes“ („Lumen Gentium“, 2. Kapitel) sollten nicht – wie etwa bei Mannes Dominikus Koster OP – in einen Gegensatz zueinander gestellt werden, sondern mit der Eucharistielehre des Konzils und in Anknüpfung an die altkirchlich-orthodoxe Tradition zueinander vermittelt werden. Dies wird vom Autor mit vielen historischen Bezügen und unter Beachtung weiterer „Kirchenbilder“ des Konzils (komplexe Realität, Mysterium, Schafstall und Pflanzung, Gottes Bauwerk, Heiliger Tempel, makellose Braut und Mutter, Sakrament der Communio mit dem dreieinigen Gott) überzeugend und didaktisch geschickt dargelegt. Leider wird die ergänzende Gegenüberstellung zu einem personal-symbolischen Kirchenverständnis, wie es vor allem Charles Journet in seinem klassischen und immer noch nicht ins Deutsche übersetzten Werk „L’Église du Verbe incarné“, sowie Hans Urs von Balthasar in seinem Aufsatz „Wer ist die Kirche?“ (Einsiedeln 1961) und in seiner vielleicht konkretesten Ekklesiologie mit dem Titel „Der antirömische Affekt“ (Trier ²1989) vorgeschlagen haben, nicht mit thematisiert. Dafür wird aber die Bedeutung von Bischofsamt und Primat klar erkannt und im Zusammenhang damit die „Kreuzestheologie als Voraussetzung der eucharistischen Theologie“ (216). Die Untersuchung mündet in eine Darlegung des rechten Verständnisses der „participatio actuosa“, die nicht vor allem äußere Aktivität (wie in der Nachkonzilszeit vielfach missverstanden), sondern betend-wacher und empfangender Vollzug der Liturgie sein soll. Obwohl von Thomas Weiler (Volk Gottes und Leib Christi. Die Ekklesiologie Joseph Ratzingers und ihr Einfluss auf das Zweite Vatikanische Konzil, Mainz 1997) und Maximilian H. Heim (Joseph Ratzinger – Kirchliche Existenz und existentielle Theologie unter dem Anspruch von Lumen Gentium, Frankfurt a. M. ²2005; s.o.) textanalytisch und biographisch unverzichtbare Vorarbeit geleistet wurde, bringt die Arbeit Jankowiaks doch eine wichtige Ergänzung durch die systematische Integration und Konkretisierung der Bilder vom Leib Christi und Volk Gottes in der Zentrierung auf die Eucharistie als Communio mit Christus und den Seinen. Joseph Ratzinger, nun Papst Benedikt XVI., wird ohne apologetische Absicht als der authentische Interpret der eucharistischen Ekklesiologie des Konzils erkannt.
(beide in: "Klerusblatt", München 2005/2006)
Achim Buckenmaier, Universale Kirche vor Ort. Zum Verhältnis von Universalkirche und Ortskirche, Regensburg (Friedrich Pustet) 2009, 448 Seiten
Der Schwerpunkt der Lehre des II. Vaticanums und auch seiner Rezeption liegt in der Ekklesiologie, die von der Konstitution Lumen gentium ausformuliert wurde und zu einer Erneuerung der Communio-Ekklesiologie der frühen Kirche beitragen wollte. So sollte auch das große Schisma von 1054 seiner Überwindung entgegengebracht und die die östliche Christenheit abschreckende gregorianische „Papstrevolution“ (Eugen Rosenstock-Huessy) von 1076 einer „Dekonstruktion“ entgegengeführt werden. Das Verständnis der Kirche als Leib Christi, das Papst Pius XII. zum Thema einer Enzyklika machte, wurde ergänzt durch das Bild vom „Volk Gottes“, das 1983 in das neue Kirchenrecht aufgenommen wurde. Dabei ging es auch immer um das Verhältnis von „Universalkirche“ mit dem Papst als sichtbarem Mittelpunkt und der um die Bischöfe versammelten Ortskirchen. Dazu gab es in den Jahren 1999 bis 2001 einen berühmt gewordenen „Disput der Kardinäle“ (so der Jesuit Medard Kehl) zwischen dem damaligen Präfekten der Glaubenskongregation Joseph Ratzinger und Walter Kasper, dem damaligen Bischof von Rottenburg-Stuttgart, der zu Beginn der Auseinandersetzung in den Päpstlichen Einheitsrat berufen wurde.
Achim Buckenmaier, Dozent am neu eingerichteten „Lehrstuhl für die Theologie des Volkes Gottes“ der Lateran-Universität in Rom, hat diese innerkatholische ekklesiologische Auseinandersetzung in einer umfassenden Studie (Habilitationsschrift an der Universität Bonn) aufgegriffen und um neue Perspektiven für die künftige Rezeption der Ekklesiologie des II. Vaticanums weitergeführt. Ratzinger und Kasper, die schon in den 1960er Jahren um das Buch „Einführung in das Christentum“ eine Kontroverse führten, sind beide profilierte und anerkannte Theologen fast derselben Generation und Konzilserfahrung mit sehr unterschiedlichen theologischen „Stilen“. Plakativ wird der eine oft als „Platoniker“, der andere als letzter Exponent der Tübinger Schule klassifiziert. Der Disput entzündete sich an der von Ratzinger mit verantworteten römischen Verlautbarung Communionis notio von 1992, die die ontologische Vorgängigkeit der Universalkirche und ihre Präsenz auch in allen lokalen ekklesialen Vollzügen betont hat. Darauf reagierte Kasper betont kritisch in einem Aufsatz, der zunächst vom Bischofsamt bei Thomas von Aquin und in der Lehre des II. Vaticanums handelte, um dann dem Dokument den „Versuch einer theologischen Restauration des römischen Zentralismus“ vorzuhalten.
Buckenmaier schildert zu Beginn seiner Untersuchung den Verlauf der Kontroverse (25-92) und bietet dann ergänzende Analysen zum Verhältnis von Orts- und Weltkirche unter Einbeziehung soziokulturell-historischer Dimensionen wie etwa der Globalisierung als Kontext kirchlicher Universalität (93-128). Mit Ratzinger greift er in einem eigenen Kapitel den Gedanken der Präexistenz der Kirche bei den Kirchenvätern und der Präexistenz Israels (und der Tora) in der rabbinischen Theologie auf (129-206). In besonderem Anschluß an die Ekklesiologie des Lukasevangeliums und der Apostelgeschichte wird der ekklesia-Begriff exegetisch unterschieden in „Gemeinde“ und „Kirche“. Dabei gehört zur Konkretion der Ortskirche auch die (vor)gelebte Gemeinschaft der Christen untereinander und der Kleriker mit ihrem Bischof (207-286). Ein Exkurs behandelt die Frage nach der angemessenen Größe einer Ortskirche. Besondere Dynamik erhalten Lokalkirchen in ihrem Verhältnis zur Universalkirche durch die Heiligenverehrung, die zur Universalisierung der Geschichtlichkeit des Glaubens beiträgt. So sei auch nicht das Papstamt, sondern die Apostelgräber der Grund für den universalen Vorrang der römischen Ortskirche (287-321). Diese ist allerdings zeitlich der urchristlichen Ortskirche von Jerusalem nachgeordnet und an sie verwiesen. Für beide gilt, dass erst ihr lokal kirchlicher Charakter die Ermöglichung ihrer universalkirchlichen Aufgaben ist. Leider keine Berücksichtigung findet die vom Konzil ermöglichte ekklesiologische Form einer „Personalprälatur“, die in jüngster Zeit durch mögliche Unionen mit Ortskirchen eigener Traditionen neue Aktualität auch in ökumenischer Hinsicht gefunden hat.
In acht Thesen bündelt Buckenmaier seine Erkenntnisse und ekklesiologisch weiterführenden Vorschläge (322-386). Klar bekennt er mit Ratzinger den ontologischen Vorrang der Universalkirche und die Kontinuität zum Volk Israel. Jerusalem ist der Ort, an dem erstmals und singulär an Pfingsten Universalkirche sichtbar durch die zwölf Apostel in Erscheinung trat. Mit Papst Johannes Paul II. kann das Verhältnis von Universalkirche und Ortskirche als „gegenseitige Innerlichkeit“ beschrieben werden, die sich zur „gegenseitigen Hilfe“ ausweitet und nach außen hin Kirche als „Versammlung“ versteht. Dazu gehört die communio ecclesiarum und die Rolle der Bischofskonferenzen. Ekklesiologisches Modell der Zukunft ist dem Autor mit einem Wort Martin Bubers die „mittegeeinte Gemeinschaft“ (369-381), in der ein lokal gebundener Petrusdienst seinen globalen Auftrag erfüllen kann. Dazu müsse aber Rom als Gemeinde gesehen werden (382-386). Dennoch sollte das Bild Johannes’ XXIII. von der Kirche als einem allen zugänglichem „Brunnen“ nicht vergessen werden.
Buckenmaier gelingt es in seiner gründlichen, lehreichen und spannend zu lesenden Studie, die ekklesiologischen Perspektiven Ratzingers und Kaspers als sich ergänzend zusammenzuführen und zum Ausgangspunkt künftiger Ekklesiologie zu machen. Die persönliche Herkunft des Autors aus der „Katholischen Integrierten Gemeinde“ bleibt in Ansatz und Schlussfolgerungen nicht verborgen und bringt gewinnend den Ertrag soziokultureller Sichtweisen ein. Vermissen wird man aber um so mehr die von der außerordentlichen Bischofssynode 1985 (mit Walter Kasper als Sekretär) betonte Sicht der Kirche als eucharistisches „Mysterium“ und ihre marianisch-personale Prägung. Eine Ekklesiologie ohne marianische Bezüge bleibt allzu oft in fruchtlosen Strukturdebatten hängen und vermag das Profil des Katholischen vor Ort und universal kaum überzeugend zum Ausdruck bringen. Die letzten Päpste dagegen haben in je eigener Weise sich immer wieder auf Maria als „Typus und klarstes Urbild der Kirche“ (Lumen gentium 53) öffentlich bezogen und unzählige Marienwallfahrtsorte der Lokalkirchen aufgesucht.