Mouhanad Khorchide, Hamed Abdel-Samad und Stefan Orth (Hg.), Zur Freiheit gehört, den Koran zu kritisieren. Ein Streitgespräch (Edition Herder Korrespondenz 1), Freiburg i. Br. 2016, 127 Seiten, € 14,99 ISBN 978-3-451-27146-5

 

Die Literatur zum Thema Islam/Islamismus ist fast uferlos und kaum noch zu überblicken. Gut lesbare und verschiedene Positionen integrierende Titel sind eher selten. Anzuzeigen ist daher jetzt ein von Stefan Orth, stellvertretender Chefredakteur der Freiburger „Herder Korrespondenz“, ermöglichter Gesprächsband zur Islam-Problematik mit zwei gegensätzlich profilierten und exponierten Experten: dem streitbaren Islamkritiker Hamed Abdel-Samad, Autor der Bestseller „Der islamische Faschismus“ (München 2014) und „Mohamed. Eine Abrechnung“ (München 2015), sowie Mouhanad Khorchide, dem bekannten Münsteraner Professor für islamische Religionspädagogik, der den Islam als „moderne Religion“ der Barmherzigkeit entwerfen will und zuletzt dazu den Titel „Gott glaubt an den Menschen. Mit dem Islam zu einem neuen Humanismus“ (Freiburg 2015) veröffentlichte.

Die Teilnehmer des Herder-Streitgesprächs könnten gegensätzlicher nicht sein. Beide haben biografisch einen muslimischen Hintergrund. Abdel-Samad war Mitglied der Deutschen Islamkonferenz, verließ diese aber wieder und distanzierte sich mit heftiger Kritik vom Islam. Widersinnig wurde er von einem Berliner Gericht wegen seiner Islamkritik der Volksverhetzung angeklagt. Der liberale Islam-Theologe Khorchide ist Gründungsmitglied des Muslimischen Forums Deutschland der Konrad-Adenauer-Stiftung und im akademischen Bereich bestens vernetzt, wird von den offiziellen deutschen Islam-Verbänden jedoch abgelehnt.

Während für Khorchide Aussagen, dass der Islam durchweg friedlich oder durchweg gewaltbereit sei, an der Realität vorbei gehen, sieht Abdel-Samad darin ein Ablenkmanöver und ihn seit Mohammed durchweg von der Gewaltanwendung geprägt. Ein friedlicher mekkanischer Anfang fand bei seiner Etablierung in Medina den ersten gewaltsamen Islamischen Staat. „Ohne die Gewalt konnte der Islam nicht überleben, ohne Gewalt konnte er sich nicht ausbreiten“ (S.23). Der kenntnisreiche Autor einer polemischen „Abrechnung“ mit dem Propheten sieht anders als Khorchide keine Möglichkeit einer positiven Würdigung seiner Wirksamkeit, besonders auch im Blick auf die Gegenwart. Sein Umgang mit Kriegsgefangenen, Juden und Frauen ist verbrecherisch, das können auch die (eher wenigen) friedlichen Suren des Koran nicht übertünchen. „Für mich ist der IS ein legitimes Kind von Mohammed, seinem Werk und seinen Aussagen“ (S. 43), er steht für „eine Kultur des Todes, einen dezidierten Todeskult, die Sehnsucht nach dem Martyrium“ (S. 44). Begegnen müsse man dem IS mit einer Kultur des Lebens, der Lebensfreude und der Freiheit, zu der auch gehört, „den Koran direkt anzugreifen und zu kritisieren“ (S. 45). Anders als Jesus bietet Mohammed keine gewaltfreie und Frauen achtende Perspektive.

Khorchide dagegen möchte eher die Spiritualität des Islam in den Vordergrund stellen und die extreme Gewalt des IS, die ja von vielen Muslimen nicht geteilt werde, relativieren. Er gesteht aber dem Gesprächspartner zu: „Der IS konfrontiert die Muslime mit ihrer eigenen Tradition. Sie müssen eingestehen, dass es nicht ausreicht zu sagen, der IS habe mit dem Islam nichts zu tun“ (S. 53). Ohne eine islamische Geschichtstheologie zu diskutieren (ein bleibendes Manko!) meint Khorchide, dass es einen islamischen Humanismus geben könne, da die Hingabe an das göttlich-Absolute den Menschen von falschen innerweltlichen Verabsolutierungen befreie. Eine Reduzierung des Islam auf eine juristisch normative Ebene habe ihn für Weiterentwicklungen blockiert. Angstpädagogik verfälsche das koranische Gottesbild eines „Allerbarmers“. Für Abdel-Samad jedoch ist das Wunschdenken, der Koran ein Buch, in dem das Wort „Mensch“ 61 Mal nur negativ vorkomme (S. 74) und immer wieder zu Gewalt aufgerufen werde. Der islamische Gott sei ein Egozentriker, der eifersüchtig auf Unterwerfung und Verehrung pocht. Khorchide wirft Abdel-Samad darauf eine „salafistische Lesart des Korans, die beim Wortlaut stehen bleibt“ (S. 80) vor und deutet den Transzendenzbezug als Ermöglichung innerweltlicher Freiheit. Beide Islamkenner sind sich dann darin einig, die ewigen Höllenstrafen des Koran für Nichtmuslime abzulehnen. Der Himmelslohn für Selbstmordattentäter ist für Abdel-Samad hingegen „menschenunwürdig“. In eine demokratische Gesellschaft passe keine Unterdrückung und sexuelle Ausbeutung der Frau (S. 100), illusorisch sei ein „Euro-Islam“, da viele Muslime außerhalb islamischer Länder in ihren Islamverbänden noch reaktionärer würden. Aber er freue sich, wenn wider Erwarten das liberale Islam-Konzept Khorchides aufgehe: „Dann ist auch meine Kritik hinfällig, dann hat sie sich von alleine erledigt“ (S. 109).  Bis dahin gilt, dass „so wie wir gegen Neonazis und Gewalt gegen Flüchtlingsheime sind, müssen wir auch gegen muslimische Brandstifter sein, die eine Mauer zwischen den Menschen aufbauen“ (S. 122). In jedem Fall ist das Recht, den Islam, den Koran und Mohammed kritisieren zu dürfen, unabdingbar für eine demokratisch-offene Gesellschaft.

Allein, dass so gegensätzliche Positionen wie die von Abdel-Samad und Khorchide in ein respektvolles Streitgespräch einwilligten und es unter der Moderation von Stefan Orth auch führen konnten, macht den Band wertvoll. Das Plus an Realismus und ungeschönter Einsicht angesichts der islamischen Herausforderung ist aber eindeutig auf Seiten des Autors des islamkritischen Bestsellers „Mohamed. Eine Abrechnung“. Die theoretische Klarsicht entbindet nicht vom Respekt für die muslimischen Mitmenschen, die ohne freie Entscheidung unter den Einfluss des reaktionären Systems religiöser Bevormundung geraten sind und dessen geistigen Totalitarismus noch nicht durchschauen. Viel Aufklärungsarbeit ist zu leisten, unpolemisch und in ruhiger Sachorientierung. Christlicher Glaube und christliche Weltsicht gibt dazu die nötige Gelassenheit.

Dr. Stefan Hartmann, Bamberg ("Die Neue Ordnung " 3/2016, 237-239)

 

Heiko Heinisch / Nina Scholz, Europa, Menschenrechte und Islam – ein Kulturkampf?, Wien (Passagen Verlag) 2012, 350 Seiten, ISBN 978-3-7092-0016-2

 

Schon vor dem 11. September 2011 und dem sich anschließenden Irak-Krieg war von einem Zusammenprall der Kulturen („clash of civilization“) die Rede, wobei Samuel Huntington mit diesem Schlagwort mehr als nur den islamisch-westlichen Gegensatz meinte. Aufgewühlt von historischen Ereignissen und im Bann aktueller Terroranschläge lässt sich kaum besonnen und vertiefend weiterdenken. Inzwischen geht es nicht nur um Weltpolitik. Die Konfrontation der westlichen, auf individuellen Rechten und Lebensentwürfen basierenden Gesellschaft mit Zuwanderung aus traditionell-kollektivistisch geprägten Kulturen des Islam verläuft nicht spannungsfrei und stellt besonders die europäischen demokratischen Länder vor neue Herausforderungen. Die Wiener  Autoren Nina Scholz (Politikwissenschaftlerin) und Heiko Heinisch (Historiker) sind dieser neuen Lage kritisch und historisch fundiert nachgegangen in ihrem Werk „Europa, Menschenrechte uns Islam – ein Kulturkampf?“. Dabei fühlen sie sich ideengeschichtlich konsequent den Werten der Aufklärung und den universalen Menschenrechten verpflichtet. So bieten sie eine nüchterne Bestandaufnahme und eine unideologische Islamkritik, die sich von allen verschwörungstheoretischen Konstruktionen (so etwa die Tendenz bei Hans-Peter Raddatz oder Udo Ulfkotte) fern hält, aber sich auch nicht scheut, immer wieder entschieden kritische Stimmen vor allem von Frauen aufzugreifen (wie Necla Kalek und Seyran Ateş).

In unabhängig voneinander lesbaren Themenabschnitten wird die Problematik eines möglichen und bereits vielerorts existierenden „Kulturkampfes“ von den Autoren angegangen. Als erstes Stichwort wird der Begriff „Islamophobie“ analysiert und wegen seiner Pauschalität nicht nur wissenschaftlich als ungeeignet zurückgewiesen. Zwischen Islamkritik und rechtspopulistischer Muslimfeindschaft sollte klar unterschieden werden. Die ideologische Repristination eines „christlichen Abendlandes“, wie sie etwa auch der Utöya-Massenmörder Breivik betreiben wollte, ist etwas anderes als die Sorge liberaler und säkularer Kräfte vor menschrechtswidrigen Auswirkungen islamischer Migranten in Europa. „Multikulturalismus“ wird sodann als naiver Kulturrelativismus geschildert, der allen Kulturen mehr Daseinsberechtigung zuspricht als der eigenen. Dem wird eine positiv verstandene pluralistische multikulturelle Gesellschaft gegenübergestellt.

Im Abschnitt „Toleranz“ wird im Rückgriff auf eine historische Analyse das völlige Fehlen festgestellt, ganz krass beim islamischen Verbot des Religionswechsels und bei der intoleranten Haltung gegenüber Homosexuellen. „Der Geschichtsmythos vom toleranten Islam hilft niemandem weiter und steht einer kritischen Aufarbeitung der islamischen Geschichte im Weg“ (71). Eingeschränkt ist ferner das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Es darf keine Religion „diffamiert“ werden und in der ominösen „Kairoer Deklaration der Menschenrechte“ von 1990 heißt es fast zynisch: „Alle haben das Recht, ihre Meinung frei auf eine Weise auszudrücken, die der Scharia nicht zuwiderläuft“ (80). In diesen Themenbereich gehört auch der bekannte, von Dänemark ausgehende „Karikaturenstreit“ um Karikaturen des Propheten Mohammed, der zu einer „Diktatur der Beleidigten“ führte. Viele ähnliche Beispiele werden aufgezeigt (am bekanntesten ist der skandalöse Umgang mit Salman Rushdie). In diesen Zusammenhang gehört noch die ganze Debatte um Blasphemie, die auch im Christentum periodisch geführt wird (vgl. Thomas Laubach, Hg., Kann man Gott beleidigen?, Herder 2013). Radikal abgelehnt werden in kollektivistischen Milieus alle Arten von „Dissidenten“. Der Koordinationsrat der Muslime in Deutschland (KRM) entzog so jüngst dem vom Bundespräsidenten besuchten Münsteraner Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide das Vertrauen. Individuelle Meinung, auch wissenschaftlich begründet, wird als mit dem Kollektiv unverträglich bezeichnet. Besonders empfindlich und mit Rufmord verbunden wird auf sich emanzipierende Frauen reagiert. 

So schlimm und verheerend der christliche Antisemitismus in Europa wütete, so kann das Christentum doch nicht umhin, Israel als seine Wurzel und als „Gottes erste Liebe“ (Friedrich Heer) anzuerkennen. Für den Islam waren Juden von Anfang an Bürger zweiter Klasse, gab es eine mit der Gründung des Staates Israel steigende  „Judenfeindschaft“, mit der sich ein eigener Abschnitt befasst. Stereotypen des rassistischen und nationalsozialistischen Antisemitismus wurden von der sich besonders seit 1979 zunehmend ausbreitenden Bewegung des Islamismus aufgegriffen. Die Autoren kommen auch mit Blick auf Migrantenmilieus zum Ergebnis: „Judenfeindschaft gehört in der islamischen Welt zum gesellschaftlichen Konsens und ist über alle sonstigen Differenzen hinweg das einigende Band zwischen den verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Strömungen“ (142). Weiter ausführlich und deskriptiv wird eingegangen auf die Fragen von Integration und Assimilation, von Ghettobildung und die vom Islam als „Religionsschutz“ umgedeutete Religionsfreiheit.   

Konsequent an den Menschenrechten orientiert sind die den Geschlechterthemen gewidmeten Abschnitte „Kopftuch“ und „Ehre und Gewalt“, in denen es um den Schutz vor allem der weiblichen Individualität vor kollektiven Repressionen geht. Während das Tragen eines Kopftuches durch die Religionsfreiheit gedeckt ist, „erscheint es durchaus sinnvoll, Burka und Gesichtsschleier zu verbieten, bevor sie durch zu häufiges Auftreten zu einem Problem werden“ (197). Die Verknüpfung von Ehre und Sexualität in islamischen Kulturen ist extrem patriarchalisch und vormodern, Ehrenmorde, Genitalverstümmelung und Zwangsverheiratung kann kein demokratischer Rechtstaat dulden. Unbedingt bedarf der Islam daher einer „sexuellen Revolution“ (Seyran Ateş). 

Die historischen Kapitel über „Dschihad“ und „Kreuzzüge“ weisen (auch gegen Bassam Tibi) nach, dass kriegerische Eroberung von Anfang an zum Wesen des sich missionarisch ausbreitenden Islam gehörte. Diese Gewaltgeschichte wird meist geleugnet oder relativiert und es werden ihr fälschlich die Kreuzzüge gegenübergestellt.  Feindliche Auseinandersetzungen begannen lange vor dem 1. Kreuzzug und gingen vom Islam aus. Kreuzzüge waren keine antiislamische „Aktion“, sondern eine Re-Aktion auf islamische gewaltsame Eroberungen. An Gräueltaten haben sich beide Seiten nichts geschenkt. Dass die Kreuzzüge als moralische Katastrophe des Abendlandes hingestellt wurden verdanke sich einer „Konstruktion des 19.Jahrhunderts“ (252). Die Schlussabschnitte über „Scharia“ und „Menschenrechte“ weisen instruktiv und illusionslos die absolute Unvereinbarkeit der beiden Rechtsysteme auf. Die bereits erwähnte „Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam“ von 1990 ist eine eindeutig propagandistische Verfälschung und wurde von der säkularen Türkei damals nicht unterzeichnet.  Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das vorliegende reader-ähnliche Sachbuch des Wiener Autorenpaares eine Lücke füllt und zu einer emotionslosen Sicht der ganzen Problematik beiträgt. Es wäre interessant, nun an modernen islamwissenschaftlichen Fakultäten zu erforschen, wie sich eine Dekonstruktion und Säkularisierung des sehr oft aggressiven, totalitären und menschenrechtswidrigen Islam konkret durchführen lässt. Die gelungene Integration vieler muslimischer Menschen, besonders aus der Türkei, zeigt, dass es dazu durchaus Wege geben kann.