Epilog: Der erste neue Mensch

Am Ende der Untersuchung möchte ich versuchen, H. M. Kösters anthropotypisch-heilsgeschichtliche Mariologie in den Zusammenhang der von Schöpfung und Erlösung, aber auch vom Wirken der Gnade und vom Eschatologischen (nicht bloß als Vorbehalt[1]) bestimmten christlichen Gesamtsicht zu stellen. Dabei sollen auch Fragen der Vermittlung und Weitergabe der christlichen Glaubenswahrheit in einem globalisierten, multikulturellen und säkularisierten Umfeld vor Augen stehen. Kösters früher Kritiker K. Rahner hat mit Blick auf das Assumpta-Dogma, das er als exemplarischen Sonderfall des allgemeinen Auferstehungsglaubens auslegte, der Mariologie im Zusammenhang seiner Theologie des Todes[2] eine eschatologische Ausrichtung gegeben. Als die vollkommen Erlöste und Ersterbin des in Christus neu geschaffenen Lebens[3] ist Maria diejenige, die Tod und Gericht immer schon hinter sich hat. In ihr haben sich alle Glaubensverheißungen erfüllt. Das könnte sie der Realität der ecclesia militans entfremden durch ein supranaturalistisches Entrücktsein aus dem heils- oder unheilsgeschichtlichen Zusammenhang der condition humain. In der Mariologie Rahners, die in einem Exkurs darzustellen versucht wurde, besteht trotz ihrer Integrierung aller Mariendogmen daher latent die Gefahr der Nivellierung der heilsgeschichtlichen Person und Gestalt Mariens – nicht ins bloß Menschliche, wie einige Rahner-Kritiker argwöhnen, sondern in eine ideenhafte Exemplifizierung allgemeiner Gnadenlehre und Eschatologie. Kösters systematischer Ansatz bei der bundestheologisch-heilsgeschichtlichen Stellvertretung der Menschheit ist dagegen konkreter und für Maria vor allem anthropologischer als derjenige Rahners, der sich anthropologisch mehr auf die Christologie als auf die Mariologie konzentriert. Kösters Einladung, sich mit der Stellvertreterin zu verbinden (und zu verbünden), ist keine spirituelle Sackgasse oder Regression, sondern der Anfang und die Befreiung zu je eigener Stellvertretung und einem liebenden altera-Maria-Sein in der Annahme und Weitervermittlung der von Christus und dem Heiligen Geist sakramental und auf anderen Wegen geschenkten Erlösungsgnade. In Maria ist anthropotypisch ein geschwisterliches Mitgeschöpf zu sehen, das im besten Sinne geerdet bleibt und bereit ist zum miterlösenden Einsatz, auch im mit-Leiden (sym-pathein). In einer organisch und biblisch verorteten christlichen Theologie sind Eschata eigentlich nicht Letzte Dinge, sondern liebende Personen, ja die Liebe des dreieinigen Gottes im gekreuzigt-auferstandenen Christus und in der communio sanctorum ist letztlich das einzige Eschaton und das wirkliche Gericht[4]. Das eschatologische an Maria besteht darin, dass sie nicht eine Letzte, sondern eine Erste ist, der erste vollkommen erlöste neue Mensch[5], der (wie Köster breit dargelegt hat) in reiner Potenz dem Akt Gottes gegenüber so bereit war, dass Gottes letztes Wort[6] aus und in ihr menschwerdend sich der Menschheit hochzeitlich einte. Maria ist der erste neue Mensch reiner Gnade zwischen Schöpfung und Erlösung in der Mitte der Heils- und Weltgeschichte. Als solcher hat sie stellvertretend das heilsgeschichtliche Jawort zum Erlösungsakt Gottes gesprochen. Sie begleitete alle ihre Mitmenschen stellvertretend den Gottmenschen auf seinem irdischen Weg, sie begleitet mütterlich/geschwisterlich die individuelle Heilsgeschichte eines jeden auf dem Weg zu Christus, damit jeder und jedem die Chance neuen Menschseins angeboten ist. Sie ist daher die größt denkbare Realistin. In einem Aufsatz über Maria als Herz der Theologie hat Ch. Schönborn die heilsgeschichtliche Funktion und den Zusammenhang der Mariologie mit der Schöpfungs- und Erlösungslehre prägnant so umschrieben: „Maria ist der Garant des christlichen Realismus: in ihr wird ansichtig, daß Gottes Wort nicht nur gesprochen, sondern auch gehört wurde, daß Gott nicht nur gerufen, sondern der Mensch auch geantwortet hat, daß Heil nicht nur geschenkt, sondern auch empfangen ist. Christus ist Gottes Wort, Maria ist die Antwort: in Christus ist Gott ‚vom Himmel herabgestiegen’, in Maria ist die Erde wieder fruchtbar geworden. Maria ist das Siegel der vollendeten Geschöpflichkeit: in ihr wird vorweg anschaulich, was Gott mit der Schöpfung gemeint hat. [...] Ihr Mitwirken am Werk Christi führt sie, wie kein anderes Geschöpf, mitten in das Drama von Sünde und Erlösung, in das Zentrum der Heilsgeschichte.“ [7]

 

Im Sinne dieses auch thomasischen Realismus sei nun eine zusammenfassende Wertung der heilsgeschichtlich-bündnistheologischen und, wie ich zuletzt zu sagen wagte, anthropotypischen Mariologie Kösters mit ihren aktuellen Implikationen in einer von Multireligiösität, Kulturwandel, Säkularisierung[8] und Relativismus bestimmten Gegenwart versucht. Dabei ist die Eigenart teilweise diffuser religiöser Erfahrungen in säkularer Umwelt zu beachten[9], aber auch die (von K. Barth im Sinne seiner dialektischen Theologie etwas einseitig betonte) Tatsache, dass biblischer Glaube jede natürliche Religion übersteigt und verwandelt. Der Mensch (und damit auch Maria) ist nach der jüdisch-christlichen Offenbarung zuerst Geschöpf Gottes, und die theologische Anthropologie, gerade auch in Beachtung der Geschlechterdifferenz, ist und bleibt ein Teil der Schöpfungslehre[10]. Zu dieser gehört auch die Lehre von Urstand, Fall und Erbsünde, der sich Köster in seinen letzten Lebensjahrzehnten intensiv zuwandte und dazu neben einigen Aufsätzen zwei Faszikel des Handbuch(s) der Dogmengeschichte[11] und einen Band in den Eichstätter Studien[12] verfasste. Wo Maria bis hin zu kosmologisch-ökologischen Auswirkungen den hellen Gipfelpunkt der Schöpfung darstellt, muss die Erbsündenlehre gewissermaßen als ihr dunkles Gegenstück angesehen werden[13]. Man kann diesbezüglich auch mutmaßen, dass eine tiefere mariologische Kenntnis die augustinische Gnadenlehre (und ebenfalls die pelagianische Gegenposition) vor einigen Verzerrungen hätte bewahren können. Dies wird indirekt auch von J. Ratzinger in einem im März 1979 als damaliger Münchener Erzbischof vor den deutschen Bischöfen gehaltenen Vortrag Erwägungen zur Stellung von Mariologie und Marienfrömmigkeit im Ganzen von Glaube und Theologie[14] unterstrichen. Es lohnt, dem grundsätzlichen Gedanken des jetzigen Papstes Benedikt XVI. noch etwas Raum zu geben. In auffälliger Übereinstimmung mit dem Anliegen Kösters betonte Ratzinger, „daß Mariologie nie bloß mariologisch sein kann, sondern in der Ganzheit des Grundgefüges von Christus und Kirche steht, konkretester Ausdruck seines Zusammenhanges ist. Denkt man dies zu Ende, so zeigt sich, daß Mariologie ihrerseits den Kern dessen ausdrückt, was ‚Heilsgeschichte’ ist, andererseits aber bloß heilsgeschichtliches Denken überschreitet. Wird sie als wesentlicher Teil einer Hermeneutik der Heilsgeschichte erkannt, so bedeutet dies, daß einem mißverstandenen Solus Christus die wahre Größe der Christologie gegenübertritt, die von einem Christus sprechen muß, der ‚Haupt und Leib’ ist, das heißt, der die erlöste Schöpfung in ihrer relativen Selbständigkeit mitumfaßt. Dies weitet aber zugleich den Blick über die Heilsgeschichte hinaus, weil es einer falsch verstandenen Alleinwirksamkeit Gottes gegenüber die Realität des Geschöpfes in den Blick bringt, das von Gott zur freien Antwort berufen und befähigt ist. In der Mariologie wird sichtbar, daß die Gnadenlehre nicht auf Rücknahme der Schöpfung hinausläuft, sondern das definitive Ja zur Schöpfung ist: Mariologie wird so zur Gewähr für die Eigenständigkeit der Schöpfung, zur Bürgschaft des Schöpfungsglaubens und zum Siegel einer recht gedachten Schöpfungslehre. Hier liegen Fragen und Aufgaben bereit, die noch kaum in Angriff genommen sind.“[15]

 

Maria repräsentiert das Geschöpfliche als das Humane, nicht in einer Art atheistischen Emanzipation von Gott, sondern in gnadenhafter Freisetzung und in Beachtung jener biologischen Bedingtheit durch die Geschlechterdifferenz (Gen 1,27: „Als Mann und Frau schuf er sie“), die eine schon nicht mehr ganz neue Richtung (gender) als irrelevant und fremdgesteuerten Rollenzwang hinter sich lassen möchte[16]. Mit dem Grundgedanken Kösters von der gliedhaften heilsgeschichtlichen Stellvertretung der Menschheit durch Maria lässt sich systematisch ein archimedischer Punkt finden, um die von Ratzinger angeschnittenen „Fragen und Aufgaben, die noch kaum in Angriff genommen“ sind weiter zu bedenken. Es ist nicht nur ökumenisch, sondern auch religionspädagogisch und für den interreligiösen Dialog von hoher Relevanz, dass Kösters Mariensicht in erster Linie nicht von Titel-Privilegien, von abstrakten unipolaren Fundamentalprinzipien[17] oder von verpflichtenden Dogmen ausgeht, sondern eben zunächst eine gelassene, gleichsam narrative und biblisch begründbare Sicht auf die heilsgeschichtliche Realität der Mariensendung vorträgt. Die Bündnistheologie des Alten und Neuen Bundes sichert dabei wie bei Maria die verantwortliche Eigenständigkeit jedes menschlichen Partners auch gegen­über Gott. Seine Gnade wird nicht entfremdend aufgezwungen oder dem Menschen äußerlich-autoritär gegenübergestellt, sondern bietet sich der freien, befreienden[18] und liebenden Annahme Wort und Sakrament, in Glaube und Nachfolge an. Dadurch, dass er die katholischen Mariendogmen nicht zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen macht oder in die Mitte seiner Argumentation stellt, nimmt Köster ihnen ihren für manche irritierenden Charakter und ermöglicht so, sie unbefangen zu erwägen. In dieser Weise könnten dann beispielsweise die gnadentheologisch-spekulativen Überlegungen K. Rahners ökumenisch vielleicht doch zu einer Einsicht und Annahme (oder jedenfalls einem Geltenlassen) der Mariendogmen hinführen. Ist die einzigartige heilsgeschichtliche Stellung und Funktion Marias als Spitze der geschöpflichen Zweitursachen (causae secundae) mit Köster erkannt, dann lassen sich auch die Auseinandersetzungen um das Natur-Gnade-Thema und die so genannte nouvelle théologie entkrampfen. Es bedarf einer echten Annahme des anthropologisch Geschöpflichen, wenn Gnade in (menschlicher) Natur ankommen und aufgenommen werden soll: gratia supponit naturam. Maria ist für die Natur-Gnade-Problematik die personale Lösung als berufener Mensch, gleichsam der Typus ihres Zusammenfalls. Schon in der Renaissance wurde sie Geschenk der Natur und des Himmels[19] genannt. Ein rein extrinsezistisches Verständnis von Offenbarung und Gnade, wie es manche neuere thomistische Kritiker einer angeblich molinistischen und die Lehre der Kirche vernachlässigenden Richtung der modernen Religionspädagogik repristinieren wollen[20], mag vordergründig betrachtet scheinbar theologisch orthodox und gefordert sein, es widerspricht aber dem vermittelbaren Sinn der biblischen Offenbarung und ihrer Lehre von einer die ganze Menschheit betreffenden wirklichen Inkarnation. Dies galt immer (gegen das lutherische allein/solus und auch die dialektische Theologie K. Barths) als die authentisch katholische Denkform des und/et[21]. Der die heilsgeschichtliche Bundestheologie und darin die Rolle Mariens als der Person gewordenen Annahme der Erlösung zuwenig berücksichtigende metaphysisch-thomistische Ansatz bleibt dagegen doketisch und ist in (religions)pädagogischer und verkündigungstheologischer Sicht eine Belastung[22]. Auf diese Weise kann einem sensiblen und glaubwürdigen Aufbau religiös-christlicher Identität bei auch von Kulturwandel, Säkularismus und multireligiösem Umfeld beeinflußten Jugendlichen[23] nicht glaubhaft und fruchtbar gedient werden. Der psychologisch-subjektive Anteil des zum ganzen leib-seelischen Heil berufenen Menschen[24] darf religionspädagogisch, pastoral und spirituell nicht vernachlässigt werden. Kösters bündnistheologisch-heilsgeschichtliche Besinnung auf die Mariengestalt und seine Personalisierung des metaphysischen Akt-Potenz-Schemas[25] ist zudem die indirekte Gewähr dafür, in der pastoralen oder religionspädagogischen Zuwendung nicht in eine arianisch-nestorianische und letztlich langweilig-horizontale Jesulogie zu verfallen, sondern den einmaligen Charakter der gott-menschlichen Gestalt Christi zu bewahren und weiter zu bezeugen. Pädagogisch wäre ein positives Eltern-Kind-Erfahren oder Lehrer-Schüler-Erlebnis anzustreben, das zur erlösten Gotteskindschaft des Evangeliums hinführen kann. Erst in solcher befreiten Freiheit ist dann auch die eschatologische Frage wieder zuversichtlich offen gehalten: eine anthropotypisch-heilsgeschichtliche Mariologie von unten bahnt einer nicht-monophysitischen und den Sendungsgedanken voraussetzenden recht verstandenen Christologie von oben[26] einen Weg des Ankommens und Aufgenommen-Werdens, lässt Fülle der Zeit (Gal 4,4) und Nähe des Reiches Gottes (Mk 1,15) in der Begegnung mit glaubwürdigen Zeugen und in der sakramentalen Gemeinschaft der Kirche (communio) erfahrbare Wirklichkeit werden, befreit zu angst- und selbstlosem Apostolat und aktiver Sendung in der Kraft des Heiligen Geistes.

 

So steht die Mariengestalt als Gottes und der Schöpfung personales Angebot[27], selbst ganz Natur und voll der Gnade (Lk 1,28), an der Nahtstelle von Natur und Gnade, ist gleichsam deren konkrete Korrelation (P. Tillich) und repräsentiert als unbefleckt Empfangene (Immaculata) vollkommen ihr Aufeinanderbezogensein auch dadurch, dass sie „den Bereich des Herzens, den affektiven Bereich, einbezieht und so den Glauben in den tiefsten Wurzeln des Menschseins festmacht“[28]. Köster zeigt auf, dass es dazu keiner supranaturalistischen oder marianistischen Überhöhung bedarf, sondern nur der Einsicht in die heilsgeschichtlichen Zusammenhänge der gliedhaften Stellvertretung. Marias heilsame Wirkung und ästhetische Ausstrahlung (die besonders von B. Forte betont wurde) kann einer zeitgemäßen Verkündigung, Katechese und Religionspädagogik nur nützlich sein und wird anderen christlichen Glaubenswahrheiten nicht im Wege stehen, sondern erst recht zu ihnen hin vermitteln. So können objektivistische und subjektivistische, aber auch pluralistisch-relativistische Ausblendungen des Vermittlungsproblems[29] vermieden werden. Gleichsam als Modell dafür und als Gegenbild zu kollektivistisch-atheistischen Programmen hat in der Köster sehr nahen geistlichen Bewegung von Schönstatt[30] die bündnisorientierte Anerkennung der erzieherischen Marienrolle[31] zum Ausbau einer freiheitlichen katholischen Pädagogik, ja sogar zum organisch (im Gegensatz zu mechanistischen Separierungen) verstandenen Konzept eines neuen Menschen in neuer Gemeinschaft[32] geführt. Den ersten wirklich neuen Menschen[33] verkörpert – personal-real und nicht bloß als symbolischer Typus – dabei entsprechend der Kösterschen Konzeption eben Maria, die als solche auch in Kirche und Menschheit an der Spitze der neuen Gemeinschaft der durch Christi Menschwerdung, Kreuz und Auferstehung Erlösten steht. In dieser Frau, der Mutter des Jesus von Nazareth, leuchtet jenes große erlösungsfrohe Ja auf, nach dem sich ein F. Nietzsche ein Leben lang gesehnt hat und das er bei den Christen seiner Zeit und seiner Umgebung vergeblich suchte. Es ist der große Jubel des Magnifikat (Lk 1,46-55) über einen Gott, der „an­spricht“[34].

 

Abschließend möchte ich mich nach den mit der Schöpfung und dem Natur-Gnade-Verhältnis verbundenen Aspekten der Kösterschen Mariologie nochmals dem Erlösungsthema widmen. Hier kommt Maria in der Heilsgeschichte besonders zum Zuge. Hier hat auch Köster mit seinem von Thomas und Leo XIII. abkünftigen Grundprinzip und seiner eigenständigen Corredemptrix-Synthese nicht nur Mariologie-, sondern durch die Auseinandersetzung mit Rahner trotz seiner scheinbaren Niederlage auch Theologiegeschichte geschrieben. Das Marienkapitel von Lumen gentium enthält sich zwar irgendwelcher Aussagen über den stellvertretenden (loco totius generis humani) Charakter des fiat von Nazareth und thematisiert die Corredemptrix mit keinem Wort. Aber vielleicht hat Kösters ekklesiotypisch-anthropotypischer Vorschlag indirekt mit dazu beigetragen, dass sich die maximalistischen Vertreter einer christotypischen condigno-These in dieser Frage nicht durchsetzen konnten. Gewiss kann es auch weiterhin, wie der Dominikaner J.-M. Garrigues 1998 ausgearbeitet hat, Entwicklung beim Mariendogma[35] geben, aber die seit den 1990er-Jahren vor allem aus Amerika forciert verbreitete Forderung nach einem neuen und letzten dreifachen Mariendogma (Miterlöserin, Mittlerin, Fürsprecherin) hat keinen dogmengeschichtlich festen Rückhalt, wäre ökumenisch irritierend und würde zu sehr einen millenaristischen Zug haben. Köster ist gewiss ein Befürworter der Corredemptrix im von ihm erläuterten ekklesiotypisch-anthropotypischen Sinn. Diese kann wie bereits vielfach geschehen eingehen in die normale Verkündigung der Kirche. Doch die Verpflichtung eines neuen Dogmas würde die spirituellen Möglichkeiten, die in der Betrachtung der Mitwirkung Mariens am Erlösungswerk liegen, aushöhlen. Dass die Mitwirkung Marias beim Erlösungsgeschehen innerhalb der Gemeinschaft der Heiligen „absolut einzig und einzigartig“[36] ist, wenn auch nie im anselmianisch-satisfaktorischen Sinn, wird insbesondere in den Katechesen Papst Johannes Pauls II. aus den Jahren 1995 bis 1997[37] so vorgetragen. Von den drei Aspekten Miterlösung – Mittlerin – Fürsprecherin widerspricht keiner, richtig verstanden und (auch mit den Ansätzen Kösters) gedeutet, der Lehre der Kirche und den heilsgeschichtlichen Daten. Eine zusätzliche Dogmatisierung ist also weder nötig, noch angemessen. Kösters systematischer Vorschlag der heilsgeschichtlichen Stellvertretung der gesamten Menschheit durch Maria kann dagegen das Faktum der allgemeinen Annahme und Vermittlung der Christus-Gnade durch die aktiv-rezeptive Rolle Marias einsichtig machen. Aktivität und Mitwirkung Mariens ist dabei keine isolierte Eigenleistung, sondern besteht transitiv in der Aktivierung derer, die sich unter ihrem Einfluss zu Selbsterziehung, Heiligung und Apostolat motivieren und mitnehmen lassen.

Maria kann als Königin der Apostel Menschen zur apostolischen Aktivität und zum aktiven Apostolat gleichsam aus- und aufrüsten, weshalb es nicht nur ökumenisch missverständlich und theologisch wenig zielführend ist, mit viel Wort- und Forschungsaufwand ihr selbst, die vor dem göttlichen Akt die reine Potenz sein will, eine (sicher vorhandene) eigene aktive Mitwirkung an der Erlösung[38] sozusagen als Dogma erneut zuzuschreiben. Ihre Aktivität ist ja nicht das objektive Be- oder Erwirken der Erlösung, sondern deren stellvertretende Annahme, Weitergabe und subjektive Vermittlung, auch in ihrer Kontemplation und ihrem Gebet.

 

Marias Sendung an der Spitze der Menschheit und der Kirche ist somit allgemein und universal, sowohl in Nazareth als auch unter dem Kreuz von Golgatha ist sie nie isoliert-subjektiv-privat nur die Mutter des Gottessohnes, sondern seine Gefährtin, sein bräutliches Gegenüber und die erneut in die Menschheit und Kirche hinein als Mutter Enteignete (Joh 19,26f), auch in die verborgen sichernde Wüste (Apk 12,14)[39]. Indem Maria als Geschöpf und Frau in ihrem Ja-Wort auf eine göttliche Erlösungs- und Heilsinitiative stellvertretend antwortet, ist sie nun wahrhaft eine Miterlöserin und Mittlerin in Christus. Diese von Köster erarbeitete und begründete Einsicht ist kein mariologisch-spekulativer Sonderweg, der eine klare Christologie verdunkeln würde, sondern eine Erhellung des wirklichen und geschichtlich-konkreten Heilshandelns Gottes in Kooperation mit einer Frau. Maria und Christus stehen nicht in Konkurrenz oder werden austauschbar, sondern verweisen polar aufeinander: sie auf den göttlichen Sohn und menschlichen Bräutigam-Mann, er auf die erwählte Mutter und Braut-Frau, den ersten neuen Menschen allein seiner Gnade. Köster kann der von K. Rahner (und M. Schmaus) formulierten Kritik standhalten, da er in keiner Weise Maria und Christus parallelisiert, sondern ihre polare Eigenständigkeit und Unterschiedenheit, aber dann auch ihr heilsgeschichtliches Zusammenwirken thematisiert. Vielleicht hätte ein stärkeres Herausarbeiten der aktiven und natürlich auch stellvertretenden Rolle der Menschheit Christi der mariologischen Systematik Kösters sogar noch geholfen. Die von ihm in den 1950er-Jahren vorgestellte Zweieinheit von Maria und Christus verdient aber im Zeichen von Glaube und Vernunft[40] von allen Christen, seien sie evangelisch der katholisch, tiefer für ihr eigenes Glaubensleben im Taufbund mit dem dreieinigen Gott bedacht zu werden. Sie mildert auch die im Religionsdialog oft blockierend wirkende hegelianische Absolutheit[41] des Christentums. Darin unterscheidet sich die bipolare katholische Sicht von dem Exklusivismus der dialektischen Theologie K. Barths, dem ideologischen Fundamentalismus evangelikal-traditionalistischer Strömungen und natürlich auch vom islamischen Offenbarungsverständnis. In der Orientierung an der universalen und universalisierbaren Frau Maria kann interkulturelle Kompetenz und personal-christliche Identitätsbildung in Zeiten des Kulturwandels[42] eher möglich werden als an trockenen didaktischen Konzepten. Köster weist durch seinen systematischen Ansatz nach, dass die heilsgeschichtliche cooperatio von Maria und Christus in gliedhafter und mittlerischer Stellvertretung kein Synergismus ist, sondern alle engführend monistischen Deutungen zur trinitarisch-communialen Vollgestalt einer Theologie des Bundes und der heilstiftenden Beziehungen in der vom priesterlich-bischöflichen Amt zusammengehaltenen, immer wieder auch sakramental integrierten und gesegneten kirchlichen Communio öffnet. Kösters Vorschlag einer heilsgeschichtlichen Mariensicht kann nicht nur die Mariologie aus einer Engführung befreien, sondern auch für die gesamte katholische Theologie fruchtbar werden.

 

Die verehrende und gläubige Sicht Marias als der Frau, die zu Christus führt und zum dreieinigen Gott, ist wirklich eine offene Perspektive[43]. Mit ihr als erstem neuen Menschen lässt sich klarer als ohne sie auch für Nichtchristen erkennen, dass sich „nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft“ aufklärt (GS 22). Es liegt daher nahe, ihr als dem Heilig öffentlich Geheimnis[44] persönlich-affektiv, ja gleichsam ontologisch (in Maria), verbunden zu sein, um in stellvertretendem Gebet und existenziell-apostolischem Einsatz an der universalen Vermittlungs- und Beziehungsfähigkeit der vollkommen Erschaffenen und Erlösten teilzuhaben. Diese bleibt wie in Kana in Galiläa nie bei sich selbst stehen, sondern führt im Heiligen Geist immer zu Christus, zur Gemeinschaft der Kirche und zu allen Menschen hin, aber auch zur ersehnten Authentizität, Identität und (warum nicht?) Heiligkeit der eigenen Person. Diese war das von Maria menschlich vorgelebte und ersehnte Eschaton, Berufung und Sendung zugleich: „Gottes Ruf ruft ins Eigene. Er setzt den Anfang, er setzt ihn in Liebe und in der unaufhebbaren Treue zu seinem eigenen Plan, er setzt seine Gnade als unseren eigentlichen und umfassenden Anfang, bei Maria und auch bei uns. Aber eben dieser Plan plant die Freiheit des Menschen, seine Geschichte, das vom Menschen selber Getane, das von ihm Gewagte und Erkämpfte, das Erlittene und das Eigene. Gott nimmt uns nichts ab, er gibt uns uns selber.“[45]



[1] Der zunächst auf das von niemand antizipierbare (deshalb vorbehaltene)Jüngste Gericht bezogene Begriff wurde für die Zeit davor als Kritik eines säkularisierten Denkens und einer politischen Theokratie ausgelegt von E. Peterson (1890-1960). Vgl. K. Anglet, Der eschatologische Vorbehalt. Eine Denkfigur Erik Petersons, Paderborn 2001.

[2] SW 9, 348-441, mit einem Exkurs „Über das Martyrium“ (418-441). Vgl. auch ergänzend J. Ratzinger/Benedikt XVI., Eschatologie. Tod und ewiges Leben, Neuausgabe Regensburg 2007, bes. 64-90; A. Ziegenaus, Die Zukunft der Schöpfung in Gott. Eschatologie (Scheffczyk/Ziegenaus, Kath. Dogmatik VIII), Aachen 1996, bes. 65-91.

[3] So der Titel der dem assumptio-Thema gewidmeten Arbeit von J. A. Kanberg, Maria – Ersterbin des in Christus neu geschaffenen Lebens (MThSt II/68), St. Ottilien 2006.

[4] Vgl. H. U. v. Balthasar, Eschatologie in unserer Zeit. Die letzten Dinge des Menschen und das Christentum. Vorwort von Alois M. Haas. Nachbetrachtung von Jan-Heiner Tück, Freiburg i. Br. 2005 (Vortrag aus dem Jahr 1954/55); Ders., Maria für heute, Neuausgabe Freiburg i. Br. ³1997; G. Bätzing, Kirche im Werden. Ekklesiologische Aspekte des Läuterungsgedankens (TThSt 56), Trier 1996; D. Engelhard, Im Angesicht des Erlöser-Richters. Hans Urs von Balthasars Neuinterpretation des Gerichtsgedankens, Mainz 1999. Vgl. ergänzend nun O. Fuchs, Das Jüngste Gericht. Hoffnung auf Gerechtigkeit, Regensburg 2007.

[5] Vgl. M. Gerwing, Maria: der neue Mensch. 150 Jahre Dogma von der Unbefleckten Empfängnis Mariens, in: Pastoralblatt für die Diözesen Aachen, Berlin, Essen, Hildesheim, Köln, Osnabrück 57 (5/2005), 149-155.

[6] So der Titel des viel diskutierten Werkes von H. Verweyen, Gottes letztes Wort. Grundriss der Fundamentaltheologie, Dritte, vollständig überarbeitete Aufl. Regensburg 2000. Vgl. M. Gerwing, Rez., in: ThGl 92 (2002), 292-294.

[7] Maria – Herz der Theologie – Theologie der Herzen, in: W. Baier u.a. (Hg.), Weisheit Gottes – Weisheit der Welt (FS Joseph Kardinal Ratzinger zum 60. Geburtstag), St. Ottilien 1987, 575-589, hier 585f.

[8] Vgl. H. Joas/K. Wiegandt (Hg.), Säkularisierung und die Weltreligionen (Fischer TB 17647), Frankfurt a. M. 2007.

[9] Vgl. W. Gephart/H. Waldenfels (Hg.), Religion und Identität. Im Horizont des Pluralismus (stw 1411), Frankfurt a. M. 1999, sowie im Anschluss an den Religionspsychologen W. James (1842-1910) den Essay des kanadischen Philosophen und Hegel-Interpreten Ch. Taylor, Die Formen des Religiösen in der Gegenwart (stw 1568), Frankfurt a. M. 2002. Für Taylor ist religiöse Erfahrung unabhängig von rituellen Vollzügen ein Gefühl innerer Verpflichtung (ebd. 102). Neue Wahrnehmungen des Religiösen bietet der Band von J. Derrida/G. Vattimo, Die Religion (es 2049), Frankfurt a. M. 2001. Aktuelle theoretische Bezüge (auch vor dem Hintergrund des Islam) liefert J. Habermas, Zwischen Naturalismus und Religion. Philosophische Aufsätze, Franfurt a. M. 2005, sowie eher praktische Anregungen eine Aufsatzsammlung der Neuen Zürcher Zeitung: U. J. Wenzel (Hg.), Was ist eine gute Religion? Zwanzig Antworten, München 2007. In diesen Zusammenhang gehört auch die von der Regensburger Vorlesung Papst Benedikts XVI. (12. 09. 2006) ausgelöste Diskussion um „Glaube und Vernunft“. Vgl. K. Wenzel (Hg.), Die Religionen und die Vernunft. Die Debatte um die Regensburger Vorlesung des Papstes, Freiburg i. Br. 2007; M. Gerwing, Vernunft und Glaube oder: Zur Regensburger Vorlesung des Papstes. Eine Lesehilfe, in: KlBl 87 (2007), 99-102. Ein sichtbares Symptom für eine Renaissance des Religiösen ist der 2007 gegründete Verlag der Weltreligionen beim Frankfurter Suhrkamp-Verlag.

[10] Vgl. MySal 2, 559-804 („Der Mensch als Geschöpf“); J. Auer, Die Welt – Gottes Schöpfung (KKD III), Regensburg 1975, 192-388 („Der Mensch [Anthropologie]); L. Scheffczyk, Schöpfung als Heilseröffnung. Schöpfungslehre (Scheffczyk/Ziegenaus, Kath. Dogmatik Bd 3), Aachen 1997, 211-285 („Der Mensch in der Schöpfung Gottes“). Nicht mehr eindeutig der Schöpfungslehre zugeordnet (sondern ihr vorgeordnet) ist die theologische Anthropologie beim sich an Rahners transzendentalen Konzepten orientierenden Lehrbuch von G. L. Müller, Katholische Dogmatik, a.a.O. 106-154 („Der Mensch als Adressat der Selbstmitteilung Gottes“). Im von W. Beinert herausgegebenen dreibändigen Werk Glaubenszugänge. Lehrbuch der katholischen Dogmatik (Paderborn 1995) bildet die von G. Langemeyer vorgelegte theologische Anthropologie (Bd. 2, 497-622) einen eigenen Traktat nach der von A. Ganoczy behandelten Schöpfungslehre (Bd. 2, 363-495). Bei M. Kehl (Und Gott sah, dass es gut war. Eine Theologie der Schöpfung, Freiburg i. Br. 2006), der auch Fragen der ökologischen Ethik behandelt (ebd. 332-345), erstaunt (neben dem Übergehen der Geschlechterdifferenz), dass der Jesuit in seinem magistralem Werk nicht das Prinzip und Fundament der ignatianischen Exerzitien betont: „Der Mensch ist geschaffen dazu hin, Gott Unseren Herrn zu loben, Ihn zu verehren und Ihm zu dienen, und so seine Seele zu retten. Die anderen Dinge auf Erden sind zum Menschen hin geschaffen, und um ihm bei der Verfolgung seines Zieles zu helfen, zu dem hin er geschaffen ist“ (Nr. 23). Vgl. dagegen H. U. v. Balthasar, Homo creatus est. Skizzen zur Theologie IV, Einsiedeln 1986, 11-25.

[11] HDG II/3b (Urstand, Fall und Erbsünde. In der Scholastik), Freiburg i. Br. 1979; HDG II/3c (Ur­stand, Fall und Erbsünde. Von der Reformation bis zur Gegenwart), Freiburg i. Br. 1982.

[12] Urstand, Fall und Erbsünde in der katholischen Theologie unseres Jahrhunderts (ESt NF 26), Regensburg 1983. Ebd. 240f zu E. Drewermann („Strukturen des Bösen“), 241f zu P. Ricœur („Symbolik des Bösen. Phänomenologie der Schuld“). Köster kommt daran anschließend zu dem Schlussurteil: „Die Geschichte [vom Sündenfall; SH] ist mehr als eine Fabel, als ein ätiologischer Mythos. [...] Sie weitet Israels Exils-Erfahrung auf die Menschheit im ganzen aus (Ch. H. Dodd). Sie beleuchtet nicht nur, daß jeder Böses beginnt, sondern auch schon vorfindet. Dies erklärt, wie es zur Vorstellung ‚Vererbung’ kam. Alles in allem aber verfehlt den Sinn von Gen 3, wer die Erzählung historisch versteht, statt sie (arche)typisch zu nehmen. Die buchstäbliche Deutung hat der Christenheit unsäglich geschadet. Es gibt ein Mittel zwischen dem Historismus des naiven Glaubens und der blutleeren Sicht des Rationalismus: die Hermeneutik der Symbole (P. Ricœur)“ (ebd. 242f).

[13] Vgl. P. Schoonenberg, Der Mensch in der Sünde, in: MySal 2, 845-941; Ch. Schönborn/A. Görres/R. Spaemann, Zur kirchlichen Erbsündenlehre. Stellungnahmen zu einer brennenden Frage, Freiburg i. Br. 1991; J. Bolewski, Der reine Anfang. Dialektik der Erbsünde in marianischer Perspektive nach Karl Rahner (FTS 40), Frankfurt a. M. 1991; M. Sievernich, Die gute Schöpfung und die Macht der Sünde: Zur Erbsündenlehre, in: M. Kehl, Und Gott sah, dass es gut war. Eine Theologie der Schöpfung, Freiburg i. Br. 2006, 279-300.

[14] Jetzt in: J. Ratzinger/H. U. v. Balthasar, Maria – Kirche im Ursprung, 4. erw. Aufl. Freiburg i. Br. 1997, 14-30.

[15] Ebd. 24f.

[16] „Wo das Biologische der Humanität entzogen wird, wird die Humanität selbst verneint. So geht es in der Frage, ob es den Mann als Mann und die Frau als Frau geben darf, um das Geschöpf überhaupt“ (ebd. 26). Vgl. O. Boulnois, Haben wir eine geschlechtliche Identität? Ontologie und symbolische Ordnung, in: IKaZ 35 (2006), 336-353.

[17] Auch das u.a. von G. M. Roschini und J. Stöhr (ML 4, 560-563) favorisierte und aufgrund von Joh 19,26f sicher begründbare Prinzip der geistlichen Mutterschaft ist pädagogisch und katechetisch schwer vermittelbar, übersieht den auch fraulich-geschwisterlichen Charakter Marias, birgt in sich die Gefahr ungesunder Fixierungen und würde die geistliche Mutterschaft von Ordensgründerinnen und anderen Heiligen, auch christlichen Eltern, verdunkeln.

[18] Vgl. zum Thema Freiheit u.a. F. Ulrich, Gegenwart der Freiheit, Einsiedeln 1974. Die Freiheitslehre Th. Pröppers (Münster) ergänzt nun E. Schockenhoff, Theologie der Freiheit, Freiburg i. Br. 2007.

[19] Vgl. H.-B. Gerl-Falkovitz, „Geschenk der Natur und des Himmels“: Zur Mariologie der Renaissance, in: Dies., Die zweite Schöpfung der Welt. Sprache, Erkenntnis, nthropologie in der Renaissance, Mainz 1994, 214-238. Gerl-Falkovitz zitiert aus einem Marienbuch von Lucretia Marinella (1571-1653) die „schöne, unabgegriffene, zeitnahe Wendung“ (ebd. 238): „La sua divina belezza era dote di natura, e del Cielo“ (ebd. Anm. 72).

[20] Etwa D. Berger, Natur und Gnade: in systematischer Theologie und Religionspädagogik von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart, Regensburg 1998. Das Buch wurde P. R. Garrigou-Lagrange OP gewidmet, dem Hauptankläger der nouvelle théologie, die durch Papst Johannes Paul II. (H. de Lubac, Y. Congar und H. U. v. Balthasar wurden zu Kardinälen ernannt) und schon zuvor durch Papst Johannes XXIII. (Ernennung von Konzils-Periti) volle lehramtliche Rehabilitierung erhielt. Der Nachweis, wie sehr viele Neo-Thomisten Thomas miss- und umdeuten und seinen Anliegen Schaden zufügen, würde hier den Rahmen sprengen. Es ist eben nicht thomasisch, Natur und Schöpfung als causae secundae in ihrer Würde zu missachten und einem unvermittelten Gnaden-Extrinsezismus einer metaphysischen causa prima auszuliefern. Vgl. auch M. Figura, Der Anruf der Gnade. Über die Beziehung des Menschen zu Gott nach Henri de Lubac, Einsiedeln 1979; M. Gerwing, Rez. David Berger, Natur und Gnade in systematischer Theologie und Religionspädagogik von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zur Gegenwart (Theologie und Forschung Bd. 569; Theologie Bd. 37), Regensburg 1998, in: Religionsunterricht an höheren Schulen 43 (2000), 64-67.

[21] Vgl. L. Scheffczyk, Katholische Glaubenswelt. Wahrheit und Gestalt, Aschaffenburg ²1977, 57-60; H. U. v. Balthasar, Karl Barth. Darstellung und Deutung seiner Theologie, 4. Aufl. Einsiedeln 1976, 263-386 („Denken und Denkform im Katholizismus“).

[22] Natürlich gibt es zu kritisierende Fehlentwicklungen in der modernen Religionspädagogik (wie etwa eine Überanstrengung der so genannten Korrelations-Didaktik bei H. Halbfas), und es ist (wie K. Rahner des Öfteren betonte) berechtigt und unverzichtbar, für Katechese und Pädagogik auch eine objektive Lehre in Form von Katechismen zu formulieren. Vgl. J. Kard. Ratzinger, Die Krise der Katechese und ihre Überwindung. Rede in Frankreich, Einsiedeln 1983; Ders., Evangelium – Katechese – Katechismus. Streiflichter auf den Katechismus der katholischen Kirche, München 1995. Kein verantwortlicher Pädagoge oder Katechet wird sich jedoch mit bloßem Katechismusunterricht zufrieden geben. Das kann das Vorbild großer christlicher Pädagogen wie etwa Angela Merici, Johannes Bosco, Adolf Kolping, Theresia Gerhardinger, Joseph Kentenich, Gustav Siewerth, Franciszek Blachnicki und Luigi Giussani zeigen.

[23] Dazu hat mit Bezug auf J. W. Goethe (Faust I, Vers 506-509: „Ein wechselnd Weben,/ Ein glühend Leben:/ So schaff’ ich am sausenden Webstuhl der Zeit/ Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid“) die Religionspädagogin B.-I. Hämel den Begriff Textur-Bildung vorgeschlagen, der das Zusammenweben einer religiösen Identität im pluralen kulturellen Umfeld aufgrund katechetischer Vorgaben meint. Der/die Jugendliche wird frei gesetzt für eigene religiöse Entwicklungen, zu denen der Religionsunterricht mit ausgesuchten Texten und personal-pädagogischer Zuwendung ein Angebot macht. Vgl. Dies., Textur-Bildung. Religionspädagogische Überlegungen zur Identitätsentwicklung im Kulturwandel (Zeitzeichen 19), Ostfildern 2007, 11.

[24] Vgl. B. Grom, Religionspsychologie, München/Göttingen 1992; E. Möde, Christentum und Psychologie, in: Ders. (Hg.), 2000 Jahre Christentum und europäische Kultur, Graz/WienKöln 1999, 157-166; Ders./St. E. Müller (Hg.), Von der Heilkraft des Glaubens. Perspektiven therapeutischer Theologie (Topos TB 420), Würzburg 2002. Ein konkretes Realisationsmodell der Verbindung von Glaube und Psychologie beschreibt H. Czarkowski, Psychologie als Organismuslehre. Joseph Kentenich und die moderne Psychologie unter besonderer Berücksichtigung der Tiefenpsychologie (Schönstatt-Studien 1), Vallendar-Schönstatt ²1978.

[25] S. o. 4.2: Mariologie und Metaphysik.

[26] Wie sie mit einem Epilog auf die hl. Therese v. Lisieux, die eher eine Spiritualität von unten (par en bas, c’est plus sur) lehrte, etwa vorgelegt wurde von Ch. Schönborn, Gott sandte seinen Sohn. Christologie (AMATECA VII), Paderborn 2002.

[27] So ein Begriff der Würzburger Synode der deutschen Bistümer in den 1970er Jahren. Personales Angebot der Kirche beschränkt sich nicht auf Jugendarbeit, sondern schließt auch Religionsunterricht, Medienapostolat (inkl. Internet) und Gottesdienste ein. Vor allem ist es ein Merkmal wirklicher Seelsorge, die ohne falsche Abhängigkeiten auszulösen „aus dem Kern der Persönlichkeit“ (J. Kentenich) erfolgen soll und so auch den gesprächspsychotherapeutischen Vorgaben eines C. R. Rogers (Authentizität, Echtheit, Kongruenz) entsprechen kann. Vgl. A. A. Mello, Das seelsorgliche Gespräch. Grundhaltungen nach Joseph Kentenich, Vallendar-Schönstatt 2003, sowie grundsätzlich I. Baumgartner, Pastoralpsychologie. Einführung in die Praxis heilender Seelsorge, Düsseldorf 1990.

[28] J. Ratzinger, in: Ders./H. U. v. Balthasar, Maria – Kirche im Ursprung, a.a.O. 27f. Dies entspricht den von J. Kentenich (im Anschluss an L. Bopp) herausgestellten Vorerlebnissen und Vorerfahrungen zur Realisierung des Religiösen, auch im Bereich des Unbewussten. Vgl. O. Amberger, Art. Praeambula fidei irrationabilia, in: SchL (1996), 312f. 

[29] So V. Hoffmann, Vermittelte Offenbarung. Paul Ricœurs Philosophie als Herausforderung der Theologie, Mainz 2007, 17-70. „Objektivistische“ Ausblendung ist für Hoffmann der evangelikale Fundamentalismus und der katholische Traditionalismus (17-38), „subjektivistische“ Ausblendung die gefühlsorientierte Religionslehre F. D. E. Schleiermachers und analog des Zen-Benediktiners W. Jäger (38-56), „pluralistische“ Ausblendung die Religionstheorie von J. Hick und P. Schmidt-Leukel (56-70). Vgl. auch A. Haas, Hans Urs von Balthasar – Vermittlung als Auftrag, in: Hans Urs von Balthasar-Stiftung, Vermittlung als Auftrag. Symposion zum 90. Geburtstag von Hans Urs von Balthasar, Freiburg i. Br. 1995, 11-26.

[30] S. o. 2.2.

[31] Vgl. P. Vautier, Maria, die Erzieherin. Darstellung und Untersuchung der marianischen Lehre P. Joseph Kentenichs (Schönstatt-Studien 3), Vallendar-Schönstatt 1981.

[32] Vgl. nacheinander die Arbeiten von H. Schlosser, Der neue Mensch – Die neue Gesellschaftsordnung, Vallendar 1971; M. E. Frömbgen, Neuer Mensch in neuer Gemeinschaft. Zur Geschichte und Systematik der pädagogischen Konzeption Schönstatts, Vallendar 1973; L. Penners, Eine Pädagogik des Katholischen. Studien zur Denkform P. Joseph Kentenichs (Schönstatt-Studien 5), Vallendar-Schönstatt 1983 (ebd. 422: „Das eigentlich Pädagogische an dieser ‚Pädagogik’ war es von Anfang an, nicht in erster Linie ein Erziehungskonzept zu sein, sondern ein Sich-Öffnen für das Wirken des Jenseitig-Anderen, Gottes und der Gnade: eine ‚Pädagogik’ des Bundes“); M. Gerwing/H. King (Hg.), Gruppe und Gemeinschaft. Prozeß und Gestalt (Schönstatt-Studien 7), Vallendar-Schönstatt 1991; D. M. Schlickmann, Die Idee der wahren Freiheit. Eine Studie zur Pädagogik Pater Josef Kentenichs, Vallendar-Schönstatt 1995 (³2007). Auch die aus Italien stammende Bewegung Comunione e Liberzione ist aus der pädagogischen Begegnung entstanden. Vgl. L. Giussani, Das Wagnis der Erziehung. Zur christlichen Erfahrung. Mit einem Vorwort von Nikolaus Lobkowicz, St. Ottilien 1996.

[33] Zum nicht unproblematischen geschichtlichen Hintergrund des nicht nur an die neue Schöpfung des Evangeliums, sondern auch an Nietzsches Übermensch und an atheistisch-kommunistische Utopien anknüpfenden Begriffs neuer Mensch vgl. E. Fromm, Haben oder Sein. Die seelischen Grundlagen einer neuen Gesellschaft (dtv 1490), München 1979, 129-193 („Der neue Mensch und die neue Gesellschaft“); G. Küenzlen, Der neue Mensch. Eine Untersuchung zur säkularen Religionsgeschichte der Moderne. München 1994.

[34] Vgl. die Texte und Bilder bei A. Qualbrink/St. Voges (Hg.), Mein Geist jubelt über Gott. Von einem Gott, der anspricht. Mit Beiträgen von Äbtissin Mäire Hickey OSB, Abt Martin Werlen OSB und Bildern von Patrick Schoden, Stuttgart (Katholisches Bibelwerk) 2006. Hilfreiche Materialien und Textvorschläge zur praktischen liturgisch-katechetischen Vermittlung der Mariengestalt bietet auch das mehrbändige Werk von J. Treutlein/M. J. Emge (Hg.), Die Frau, die mich zu Christus führt. Modelle und Bausteine für Marienfeiern. 4 Bde., Würzburg 2005-2007.

[35] Vgl. Ders., Entwicklung beim Mariendogma, in: MarJb 9 (2/2005), 63-90. Orig. französisch: Un développement en cours du dogme Marial, in: Nova et Vetera 73 (3/1998), 35-51. „Die Marienlehre der katholischen Kirche stellt den Modellfall für Dogmenentwicklung im Katholizismus dar“ (G. Söll, Die Mutter Jesu, a.a.O. 89).

[36] J.-M.Garrigues, a.a.O. 73-75, hier 75. Wenig rezipiert (außer in angelsächsischen Ländern) wurden in diesem Zusammenhang bisher die innovativen Impulse von A. v. Speyr, Maria in der Erlösung, Freiburg i. Br. ³2000. Auch hier fehlt der Raum, auf sie näher einzugehen.

[37] Vgl. dazu M. Hauke, Die mütterliche Vermittlung, in: A. Ziegenaus (Hg.), Totus Tuus. Maria in Leben und Lehre Johannes Pauls II. (MSt XVIII), Regensburg 2004, 125-175, hier 134-146.

[38]  Vgl. M. Hauke, Die aktive Mitwirkung Mariens an der Erlösung. Ein geschichtlicher Durchblick, in: A. Graf v. Brandenstein-Zeppelin/A. v. Stockhausen/J. H. Benirschke (Hg.), Die göttliche Vernunft und die inkarnierte Liebe (FS zum 80. Geb. S. H. Papst Benedikts XVI.), Weilheim-Bierbronnen 2007, 12-48. Hauke verkürzt Köster auf die Position einer „bloß rezeptiven Mitwirkung“ (ebd. 40).

[39] Vgl. H. U. v. Balthasar, Maria für heute, Neuausgabe Freiburg i. Br. 1997.

[40] Vgl. Benedikt XVI., Glaube und Vernunft. Die Regensburger Vorlesung.Kommentiert von Gesine Schwan, Adel Theodor Khoury, Karl Kardinal Lehmann, Freiburg i. Br. 2006.

[41] Vgl. den immer noch aktuellen (allerdings die Realität des Islam ausklammernden) Sammelband von W. Kasper (Hg.), Absolutheit des Christentums (QD 79), Freiburg i. Br. 1977 (mit Aufsätzen von H. U. v. Balthasar, W. Breuning, H. Bürkle, K. Lehmann, G. Lohfink und E. Zenger) und in Auseinandersetzung mit E. Drewermann und pluralistischen Religionstheologen K.-H. Menke, Die Einzigkeit Jesu Christi im Horizont der Sinnfrage, Freiburg i. Br. 1995, sowie den Aufsatzband von J. Ratzinger, Glaube – Wahrheit – Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen, Freiburg i. Br. 2003. In Maria verbindet sich aber personal die Einzigkeit und Universalität Christi mit der der Kirche, was in der Diskussion um die Erklärung Dominus Jesus vom 6. August 2000 wohl zuwenig bedacht wurde und ihr einen weniger aufgeregten Verlauf hätte geben können. Vgl. M. J. Rainer (Red.), „Dominus Jesus“. Anstößige Wahrheit oder anstößige Kirche?. Dokumente, Hintergründe, Standpunkte und Folgerungen, Münster ²2001; G. L. Müller/M. Serretti (Hg.), Einzigkeit und Universalität Jesu Christi im Dialog mit den Religionen, Freiburg i. Br. 2001; G. L. Müller (Hg.), Die Heilsuniversalität Christi und der Kirche. Originaltexte und Studien der römischen Glaubenskongregation zur Erklärung „Dominus Jesus“, Würzburg 2003.

[42] Vgl. Th. Schreijäck (Hg.), Menschwerden im Kulturwandel. Kontexte kultureller Identität als Wegmarken interkultureller Kompetenz. Initiationen und ihre Inkulturationsprozesse. Mit einem Geleitwort von Bischof Franz Kamphaus, Luzern 1999; Ders. (Hg.), Christwerden im Kulturwandel. Analysen, Themen und Optionen für Religionspädagogik und Praktische Theologie. Ein Handbuch, Freiburg i. Br. 2001.

[43] MdH 2, 349-372. Vgl. K. Hemmerle, Trinität und Maria. Gestalt trinitarischen Daseins, in: Ders., Leben aus der Einheit. Eine theologische Herausforderung, Freiburg i.Br. 1995, 156-176.

[44] Mit diesem Goethe-Wort aus dem Gedicht Epirrhema überschrieb H. U. v. Balthasar 1978 einen kleinen mariologischen Aufsatz eines Themenheftes Jungfrauengeburt (IKaZ 7 [1978], 1-12).

[45] K. Rahner, SW 9, 537.