Nachlese zum Elisabeth-Gedenkjahr:

Der Zürcher Schriftsteller, Dramatiker, Claudel-Übersetzer und ehemalige Schauspieldirektor Herbert Meier (Jahrgang 1929) hat zum 800jährigen Geburtstag der Thüringer Landesfürstin und franziskanischen Heiligen im Auftrag des Meininger Theaters das Stück Elisabeth. Der Freikauf geschrieben, das dort  am 14. September 2007 uraufgeführt wurde und auch 2008 noch auf dem Spielplan stand. Es verbindet Gesellschaftskritik mit indirekter Thematisierung des Ideals religiöser Wahrhaftigkeit. Auch wenn Jürgen Habermas schon in die Höhen eines päpstlichen Dialogpartners gerückt ist, ist die katholische Kirche von seiner Vision einer „herrschaftsfreien Kommunikationsgemeinschaft“ (trotz des „bei euch aber soll es nicht so sein“ des Evangeliums) noch weit entfernt. Denunzianten finden Raum und Gehör, Intrigen werden auf allen Ebenen wahrgenommen, Unangenehmens wird unter den Tisch gekehrt, aufgedeckte Skandale werden nur teilweise bereinigt. Weit entfernt von Elisabeths Geisteshaltung ist der Nimbus einer zeitgenössischen „Fürstin“, die wohl kaum zur Evangelisierung einer Spaß- und Eventgesellschaft, sondern gerade zu deren Bestätigung und zur Banalisierung des christlichen Anspruchs beiträgt. Wahre Umkehr war schon immer unbequem, auch wenn es dazu nicht eines rigiden Beichtvaters wie Konrad v. Marburg bedarf.

Meier bekennt sich (darin dem kritischen Katholiken Heinrich Böll verwandt) dagegen in seinem Stück zu den ursprünglichen Idealen des Evangeliums und des Beispiels der heiligen Ehefrau, Mutter und frühen Witwe, die auf ihre ganze Habe zugunsten der Armen verzichtete. Er siedelt seinen Text ganz nahe bei der Aufklärung (Kants Bemühen, selber auf den Punkt zu kommen, ohne „Anleitung eines anderen“ – auch dies kennt das Evangelium: „dein Glaube hat dich gerettet“) und bei „herrschaftsfreien“ Sehnsüchten an. Er benutzt Grundmuster des Lebens und der Legende der heiligen Elisabeth und überträgt sie in die Welt der modernen Gesellschaft: 

                             
Auf Anouks Geburtstagsfest, das ihr Mann Carsten für sie ausrichtet, erscheint eine rätselhafte Frau. Elisabeth heißt sie und Schauspielerin sei sie, glauben einige. Anouk erinnert sich, Elisabeth, die im nahen Schlosshotel auf Urlaub ist, vor Jahren in Paris begegnet zu sein. Das Fest wird durch den Auftritt von Pimm, einem Obdachlosen, gestört. Früher war er mit Carsten befreundet, engagierte sich mit ihm im 68er Geist, bevor dieser Karriere in der Pharmaindustrie machte und der andere seinen gesellschaftlichen Absturz erlebte. Elisabeth zeigt Sympathie für Pimm und erweckt Anouks Neugierde. Mit seinem Glauben an einen Einfluss der Toten auf unser Leben fasziniert er sie. Auch Elisabeth glaubt, dass wir zu wenig wissen, wie vergangenes Leben in uns fortwirkt. Carsten wird auf einer Geschäftsreise das Opfer eines Flugzeugabsturzes. Sein Tod stürzt Anouk aus ihrer Welt des Wohllebens in eine tiefe Verzweiflung. Die Liebe zu Carsten, die ihr Leben erfüllte, soll zu einer Liebe des Teilens werden. Anouk lädt daraufhin Pimms Freunde, lauter Randständige, zu einem Festessen in ihre Villa ein und schenkt ihnen mit der Freundin Elisabeth Wertpapiere, was durchaus auf geteiltes Echo trifft. Ihre Barmherzigkeit stößt nicht überall auf Gegenliebe, auch einige Empfänger rätseln über ihre Motive; das Fest wird zum Skandal. Als die ihren Mann wirklich Liebende sagt sie ihrer dekadenten Industriellengesellschaft: „Gepaart habt ihr euch zwar alle, aber was Liebe ist, das wisst ihr nicht“. Carstens Verwandtschaft will Anouk psychiatrisch internieren oder zumindest entmündigen lassen. Daraufhin erklärt Anouk, sie gehe außer Landes, um so ihre Umgebung von dem gesellschaftlichen Makel, den sie verursacht habe, zu befreien. Mit einer im Vergleich zu ihrem Erbanspruch geringen Summe lässt sie sich „freikaufen“. Mit dem Kind eines drogensüchtigen Paares kehrt sie in die Provence, ihre Heimat, zurück, um dort das Geld für eine neue soziale Aufgabe mit Kindern einzusetzen.

Das Elisabeth-Stück Meiers mit seinen ergreifenden Dialogen ist ein Stück der Gewissenserforschung – für alle. Der Text ist 2007 im Johannes Verlag Einsiedeln (mit Sitz in Freiburg i. Br.) erschienen (10,-€).

Stefan Hartmann